Die Kuratoren Christian Stadelmann und Florian Schlederer berichten über ihre Arbeit an der Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“. Sie erklären, wie wir unser Bild von Robotern modifizieren müssen, wie der Stand der Dinge bei der autonomen Mobilität ist und welche persönlichen Erkenntnisse sie im Zuge ihrer Recherchen gewonnen haben. Und wie man es schafft, dass eine Ausstellung nicht schon bei ihrer Eröffnung veraltet ist.
Worum geht es konkret in der Ausstellung? Wie habt Ihr Euch dem Thema angenähert und es inhaltlich abgesteckt?CHRISTIAN STADELMANN: Die Ausstellung behandelt vor allem Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI), die sich in unserem Alltag, im täglichen Leben, zeigen. Dort also, wo wir alle direkt betroffen sind: im Haushalt, in der Freizeit, im Verkehr, auch im kreativen Bereich. Wir fragen: Wie funktioniert KI eigentlich? Wohin entwickelt sie sich? Was wollen wir damit machen? Und umgekehrt: Was macht sie mit uns?FLORIAN SCHLEDERER: Es soll auch bewusst eine Abgrenzung sein zur vorigen Ausstellung, in der die Zukunft des Arbeits- und Produktionsbereichs im Mittelpunkt stand. Das Ganze ist ja ein Teil der schon seit Längerem im TMW laufenden Serie „weiter_gedacht_“, in der relevante Gegenwarts- und vor allem Zukunftsthemen zur Diskussion gestellt werden. Von unserer Arbeitsteilung her habe ich mich eher auf aktuelle Forschungen und Entwicklungen konzentriert, Christian eher auf die historische Dimension und sammlungsspezifische bzw. museale Repräsentationen des Themas.In welchem Bezug steht die Ausstellung zur Sammlung des TMW? Gibt es so etwas wie historische Schlüsselobjekte?STADELMANN: Wir verwenden unsere Sammlung vor allem dazu, um Entwicklungen zu zeigen, Herleitungen, wie KI entstanden ist. Dadurch bekommt die Ausstellung einen durchaus schillernden Charakter, denn damit stehen relativ alte Objekte neben neuen und werden so in Beziehung zueinander gesetzt.SCHLEDERER: Und damit kann man auch ganz neue Fragen stellen, mehrdimensional arbeiten und nicht nur Anwendungen auf Bildschirmen zeigen.STADELMANN: Schlüsselobjekte sind sicherlich unsere humanoiden Roboter von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute oder die „Babbage-Maschine“, eine mechanische Rechenmaschine, ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert; aber auch der Bereich, in dem es um Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, um „Interfaces“, geht, also etwa Lichtschalter, Tastaturen und Fernbedienungen. Und wir können anhand von anatomischen Modellen zeigen, wie sich unsere Kenntnis über das menschliche Gehirn entwickelt hat, vom 18. Jahrhundert bis heute.Die Ahnengalerie in der Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“ Künstliche Gestalten von 1849 bis heute
© Technisches Museum Wien/Sebastian Weissinger
Worin besteht denn grundsätzlich die Schwierigkeit, eine Ausstellung über KI zu machen?
SCHLEDERER: Ein Problem ist sicher, dass sich das Thema extrem schnell verändert, und natürlich, dass viele Anwendungen unsichtbar sind, im Hintergrund ablaufen in Form von Algorithmen. Ganz aktuell zu sein, angesichts der enormen Dynamik, bei der jede Woche neue Technologien auf den Markt kommen, ist schon eine Herausforderung.
STADELMANN: Wir haben uns im Vorfeld viele Ausstellungen über KI angesehen und mussten feststellen, dass einige davon bereits veraltet wirken. So rasant ist die Entwicklung in diesem Bereich.
Wie lässt sich das lösen? Die Laufzeit Eurer Ausstellung ist ja auch ziemlich lange.
STADELMANN: Wir wollen dem begegnen, indem wir sehr stark die Ideen dahinter zeigen, die Beweggründe, die zu bestimmten Entwicklungen geführt haben, denn diese sind ja zeitlos.
Eine weitere Schwierigkeit scheint mir die oft diskutierte Anthropomorphisierung zu sein, also die „Vermenschlichung“ der KI in unseren kollektiven Bildern. Wie geht Ihr damit um?
SCHLEDERER: Es ist schwierig, dem zu entgehen. Man muss eigentlich immer auf der Hut sein und kritisch reflektieren, ob man selbst in diese Kerbe schlägt. Ich war überrascht, wie schwer das ist. Wenn man zum Beispiel sagt: „Die KI versteht das so und so.“ Die Sprache ist hier verführerisch. Oft versuchen wir daher, es als Programm, als Algorithmus zu bezeichnen.
STADELMANN: Es liegt ja auf der Hand. Das Körperliche ist das Attraktive, wobei: Es muss gar kein Mensch sein, auch Tiere können es sein; eigentlich genügt das Gegenständliche, ein Ding. Wenn in den Medien KI erklärt wird, ist es fast immer ein Roboter, der zur Illustration herangezogen wird. „Doktor Google“ zum Beispiel wird als Roboter mit Stethoskop dargestellt. Man ist sofort in dieser Falle.
Christian Stadelmann und Florian Schlederer mit Ausstellungsguide „Cruzr“
© Technisches Museum Wien/Sebastian Weissinger
Auf welche Irrtümer seid Ihr noch gestoßen, die in Zusammenhang mit KI verbreitet sind?
SCHLEDERER: Es gibt kaum ein Feld, wo so viele Irrtümer und falsche Gefühle zirkulieren. Die Bedrohungsszenarien etwa: KI als feindliche Macht, die die Weltherrschaft übernehmen wird. Umgekehrt auch Begeisterung, dass mit KI alle Probleme der Welt gelöst werden können. Zudem werden oft KI und digitale Technologien sehr unscharf voneinander getrennt. Wir müssen hier ziemlich viel vorgefasste Meinungen und Bilder im Kopf „wegräumen“.
STADELMANN: Es fängt ja schon beim Begriff „Künstliche Intelligenz“ an. 1956 in seiner englischen Variante „artificial intelligence“ kreiert, ist er von Beginn an umstritten. Weil er immer zu suggestiv ist, weil wir ja schon Intelligenz an sich nicht wirklich erklären und definieren können. Sie ist nicht messbar, geschweige denn nachbaubar.
Es geht Euch also ganz zentral um Aufklärungsarbeit und Vermittlung technischer Grundlagen. Etwa bei den schon erwähnten „Interfaces“.
SCHLEDERER: Ja, denn das ist eine sehr spannende Perspektive. Wo beginnt die Kommunikation mit Technik? Und wie hat sich diese verändert? Von einfachen mechanischen Interaktionen hin zu einer immer intuitiveren Kommunikation durch Gesten- und Sprachsteuerung beispielsweise. Dahinter steht der Wunsch, irgendwann mit Technik so zu interagieren, wie man es auch mit Menschen gewohnt ist. Und die Kommunikation wird dabei immer niederschwelliger, unbewusster.
STADELMANN: Das ist auch schon beim Lichtschalter so. Die Einfachheit und Banalität dieses Dings ist sein Erfolgsgeheimnis.
Ist in einem Haushalt eigentlich die Küche jener Bereich, der am meisten von KI betroffen ist? Anders gefragt: Welche Bereiche der Wohnung sind denn am wenigsten davon beeinflusst?
STADELMANN: Wenn wir an die Küche denken, dann ist sie zwar von Technik und Automatisierung geprägt, aber von KI durchaus nicht. Beim Kochen, bei der Beurteilung von Speisen ist KI nicht wirklich erfolgreich.
SCHLEDERER: Ich glaube, das liegt daran, dass KI bisher vor allem zwei Sinne gut abdeckt, nämlich Sehen und Hören. Hier gibt es als Grundlage viele digitalisierte Daten. Aber beim Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn ist die Digitalisierung bislang noch nicht ausreichend angekommen. Da bräuchte man auch eine ganz andere Architektur für die KI.
STADELMANN: In der Wohnung ist KI vor allem dort vertreten, wo nicht viel in Bewegung ist, also im Wohnzimmer, im Kinderzimmer, im Unterhaltungsbereich. Überall dort, wo flache Anwendungen auf Bildschirmen gefragt sind.
Wie sieht’s in der Kreativstube aus? Kann KI bereits Bilder malen, Romane schreiben, Musik komponieren?
SCHLEDERER: Nun, sie kann in diesen Bereichen bereits etwas produzieren, von dem man ab und zu beeindruckt ist. Bei Mustern, im Fortschreiben von Bestehendem funktioniert das bereits sehr gut, wenn’s um völlig Neues geht, weniger bzw. gar nicht.
STADELMANN: KI kann zum Beispiel relativ leicht ein neues Beatles-Lied bauen, aber eben immer nur auf Basis der bestehenden Beatles-Lieder. Sie wird den Stil der Beatles nicht verlassen.
Ein anderer Bereich, der oft mit KI in Verbindung gebracht wird, ist die Mobilität, das autonome Fahren. Warum wird das Eurer Meinung nach so gehypt?
STADELMANN: Es gibt zum einen ökonomische Interessen, die dahinter stehen. Zum anderen gibt es auch das Bedürfnis nach Bequemlichkeit, nicht mehr das Lenkrad in die Hand nehmen zu müssen. Aber letztlich bleibt meines Erachtens vor allem ein Hauptargument übrig: die Reduktion der Todesopfer im Straßenverkehr. Das ist es, was allen dazu dient, diese Technik voranzutreiben.
SCHLEDERER: Wenn ein Level-5-Auto, also ein komplett autonomes Fahrzeug, auf den Markt kommen würde, eines ohne Lenkrad, das wirklich funktioniert, das wäre schon eine Revolution der Mobilität. Definitiv. Nicht nur wegen der Todesstatistik, sondern weit darüber hinaus: Das würde die Gesellschaft verändern. Und die Aktien der Firma, die so ein Produkt auf den Markt bringt, würde – so wie beim Smartphone – durch die Decke gehen.
Aber ist es nicht bemerkenswert, dass hier die Sinnhaftigkeit des Autogebrauchs gar nicht mehr in Frage gestellt wird? Es bringt ja, im Falle eines Unfalls, nicht nur Leid für die Menschen, sondern hat ganz allgemein sehr gravierende Folgen für die Umwelt ...
STADELMANN: Ich bin auch der Meinung, man müsste eigentlich grundsätzlicher darüber nachdenken und nicht nur eine Entwicklung fortschreiben und diese dann zu reparieren versuchen. Wir haben mit einigen Entwicklern gesprochen, und mittlerweile ist klar, dass dieser Level 5 noch weit entfernt ist.
SCHLEDERER: Derzeit sind wir bei Level 2 und jede Woche kommt etwas Neues ... Wir versuchen das Thema aber breiter anzugehen und nicht nur über das Auto zu spielen, sondern auch Flugverkehr und öffentlichen Verkehr miteinzubeziehen. Auch dort gibt es massive Entwicklungen in diese Richtung. Es ist eine ähnliche Technologie, sie funktioniert ebenfalls mit Sensoren, hat aber dann doch spezifische Schwierigkeiten. Zum Beispiel bei der Straßenbahn. Hier denkt man meist: Fährt auf Schienen, müsste eigentlich leichter sein. Tatsächlich ist es aber schwieriger, weil man nicht mehr ausweichen kann. Man muss also sehr genau wissen, was passieren wird in dem Kanal, in dem sich das Fahrzeug bewegt.
STADELMANN: Bei der kritischen Darstellung hilft uns wieder der Blick zurück. Wir zeigen zum Beispiel einen Film von General Motors aus den 1930er-Jahren, in dem ein Chevrolet als „the safest place in the world“ beworben wird. Der einzige Schwachpunkt sei der Fahrer – und dann sieht man, wie es wäre, wenn man den Fahrer nicht mehr bräuchte, sich das Lenkrad von selbst bewegt, der Wagen automatisch überholt, blinkt und stoppt. Autonomes Fahren ist also schon relativ lange eine Zukunftsvision – und bis heute erst ansatzweise realisiert.
SCHLEDERER: Ein weiterer Aspekt, den wir hier einbringen, ist die Nachhaltigkeit. Kann man autonome Mobilität dazu verwenden, um Klimaschutz, Gleichberechtigung, kurzum: eine nachhaltige Gesellschaft voranzutreiben?
STADELMANN: Es wären nämlich ziemlich sicher viel mehr Autos unterwegs. Man stelle sich nur vor, man kann zu jeder Zeit ein Wunschziel eingeben und das Fahrzeug bringt einen dorthin. Ohne Mühe und ohne, dass man sich darum kümmern muss. Theoretisch eine unglaubliche Entlastung und Freiheit für den Menschen.
Apropos: Wie interaktiv ist denn Eure Ausstellung angelegt?
SCHLEDERER: Wir haben zahlreiche Hands-Ons. Zum Beispiel dort, wo es um die Grundlagen geht. Hier kann man eine KI selber trainieren, um zu sehen, worauf es in einem Datenset ankommt. An anderer Stelle kann man eine bereits trainierte KI bedienen und lernen, wie hier die Information fließt. Wir haben versucht, all das möglichst gut zu visualisieren und komplexe Vorgänge begreifbar zu machen. Da haben uns auch die Gestalter sehr unterstützt.
Das „neuronale Netz“ ist ja so eine Schlüsselinstallation. Worum geht es da?
SCHLEDERER: Die Installation demystifiziert die KI und man begreift: Es sind nichts als Informationsflüsse, die – ausgelöst von einem bestimmten Input – ablaufen. Man sieht statistische Verteilungen, Neuronen, also Informationsknoten, Verbindungslinien, von denen manche dicker, d. h. wichtiger sind als andere dünnere. All diese Parameter müssen im Vorhinein programmiert und festgelegt werden als Algorithmusstrategien. Diese bestimmen dann die Architektur und somit die Problemlösungskapazität des neuronalen Netzes. Im Unterschied zum menschlichen neuronalen Netz kommt beim künstlichen allerdings nichts mehr hinzu. Es ist nicht veränderbar. Es entstehen keine neuen Verbindungen. Wenn künstliche Neuronen ausfallen, ist das ein Problem. Beim menschlichen Gehirn ist das anders, es ist weit dynamischer. Andererseits kann das künstliche neuronale Netz auch nichts verlernen, das menschliche – wie wir wissen – schon. Nur um das auch in seinen Dimensionen zu verdeutlichen: Die gesamte Installation, die wir hier zeigen ist raumgreifend groß, etwa fünf mal zwei mal zwei Meter.
Das Gehirn spricht über sich selbst: Modell eines menschlichen Gehirns
© Technisches Museum Wien/Sebastian Weissinger
Geht mit den vielen Algorithmen, die uns mittlerweile umgeben, Eurer Meinung nach auch etwas Menschliches verloren? Vertrauen wir bald nur mehr auf Maschinen?
STADELMANN: Man muss es vielleicht nicht so kulturpessimistisch betrachten, aber in einem gewissen Sinne schon. Es ist eher eine Frage der Kompetenzen. Wenn ich zum Beispiel „Google Maps“ verwende, brauche ich das Landkartenlesen nicht mehr so wie früher. Ich kann es verlernen bzw. gar nicht mehr erlernen. Es ist in gewissem Sinne ein Verlust, dafür kommen aber auf der anderen Seite neue Kulturkompetenzen hinzu. Das ist ja eine Entwicklung, die erlebt der Mensch, seit es ihn gibt.
SCHLEDERER: Nehmen wir ein anderes Beispiel: Das Fremdsprachen lernen. Übersetzungen werden automatisiert und niemand muss mehr Sprachen lernen. Der Computer übernimmt das und gibt automatisch die gewünschte Sprache wieder.
STADELMANN: Wenn wir die Menschheitsgeschichte anschauen, Yuval Harari beschreibt das ja auch anschaulich in seinem ersten Buch, sehen wir: Es war schon immer so, dass neue Technologien und Erfindungen den Menschen geprägt und sein Handeln bestimmt haben – und letztlich gibt es kein Zurück. Es ist keine lineare Erfolgsstory, gewiss, aber der Mensch richtet sich danach ein, und es gibt ab einem gewissen Punkt keinen Retourgang mehr.
Zurück zur Ausstellung: Was habt Ihr im Zuge der Vorbereitungen persönlich mitgenommen. Gab es überraschend Neues, Dinge, die sich jetzt anders darstellen als zuvor?
SCHLEDERER: Ich war eigentlich überrascht, wie wenig KI erst kann. Ich habe gelernt, dass nur das funktioniert, was auch gezeigt wird und sonst nichts. Also ein bisschen eine Enttäuschung.
STADELMANN: Bei mir war es gegenteilig: Ich war überrascht, dass wirklich manches schon so gut funktioniert. Und ich freue mich darüber, dass ich mit der Arbeit an der Ausstellung nunmehr in der Lage bin, das Ganze besser beurteilen zu können.
Vielen Dank für das Gespräch.
Christian Stadelmann (TMW): Studium der Volkskunde, Kurator der Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“.
Florian Schlederer (TMW): Studium der Physik und Philosophie, Co-Kurator der Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“.
Peter Payer (TMW): Historiker, Stadtforscher und Publizist.