Mi 05. Januar 2022
Seit Anfang 2019 wird am Technischen Museum Wien abteilungsübergreifend am „Fokus Gender“ gearbeitet. Vielfalt einzubeziehen und abzubilden bedeutet, einen inklusiven Ort zu schaffen, in und mit dem neues Wissen generiert wird. Aber was heißt das nun für die Museumsarbeit und warum ist das gerade in einem Technikmuseum wichtig?
Auch technische Objekte sind alltägliche kulturelle Äußerungen, die Aussagen über Gender treffen. Eine pinke Handyhülle kann Ausdruck der selbstbewussten Zurschaustellung der eigenen Sexualität sein, Rasierapparate können vom Umgang mit dem Körper und dessen Gestaltung erzählen und Sonnenblenden mit oder ohne Schminkspiegel in Autos haben mit eingeschriebenen Geschlechterbildern zu tun. Mit dem Schwerpunkt „Fokus Gender“ hinterfragt das Technische Museum Wien sowohl die traditionelle Verknüpfung von Technik mit Kategorien wie Männlichkeit, Weißsein und Heteronormativität, als auch die Deutungshoheit der Institution Museum. Denn Kultureinrichtungen haben die Verantwortung, Vielfalt abzubilden, Ausschlüsse und Normierungen zu hinterfragen und Teilhabe zu ermöglichen.

Der Technik haftet nach wie vor noch ein männliches Image an. Deswegen ist es für das Technische Museum Wien wesentlich, einen Beitrag zum Gleichgewicht der Geschlechter in Naturwissenschaften und Technik zu leisten und die Dekonstruktion von Stereotypen voranzutreiben.
Franziska Mühlbacher und Sophie Gerber geben einen kurzen Überblick, wie wir dieses Ziel in unsere Sammlungs-, Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit integrieren und erzählen mehr über die „Frauengalerie“, wo das Leben und Schaffen von Wissenschaftlerinnen und Technikerinnen im Fokus steht.

Sophie Gerber und Franziska Mühlbacher erzählen im Podcast „NetzImpuls“ mehr über die Frauengalerie und den „Fokus Gender“ am TMW
Sophie Gerber und Franziska Mühlbacher erzählen im Podcast „NetzImpuls“ mehr über die Frauengalerie und den „Fokus Gender“ am TMW

Podcast "NetzImpuls": "Frauengalerie" im Technischen Museum Wien

„Das bewirken Frauen in der Technik“: Dieser Audio-Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit den Wiener Netzen für den Podcast "NetzImpuls" (https://blog.wienernetze.at/tag/podcast/)
Museum für alle
In erster Linie geht es darum, Stereotype und Festschreibungen zu hinterfragen. In der Arbeit mit Sammlungen, Ausstellungen und Vermittlung wird die Vielfalt von Geschlecht und Sexualität reflektiert und in die Praxis miteinbezogen. So können vielfältige Repräsentationen und Identifikationsangebote geschaffen werden. Dies bedeutet auch, konventionelle Arbeitsprozesse zu hinterfragen, Ausstellungs-, Sammlungs-, Vermittlungs- und Personalpolitiken zu überdenken sowie neue thematische Schwerpunkte zu setzen. Und (wie) geht das überhaupt? Zwar wurde viel zum Sammeln und Ausstellen unter Gesichtspunkten von Gender und Queer geforscht, Anwendung in Museen finden die Ergebnisse aber erst seit wenigen Jahren. Inzwischen ist immer öfter vom „Museum für alle“ die Rede, das auch jene einbezieht, die traditionell als „die Anderen“ gesehen wurden. Anstatt althergebrachte, tradierte Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen zu wahren und zu reproduzieren, erweitern Museen inzwischen ihren Horizont und öffnen sich für eine plurale, dynamische Gesellschaft. In der Praxis heißt das, neben der Geschichte Gegenwart und Zukunft stärker einzubeziehen und selbstkritisch zu arbeiten. Um das Museum zu einem vielstimmigen Teil der Gesellschaft zu machen, müssen Diskussionsformate gefunden und partizipative Ansätze verfolgt werden. Es bedarf kuratorisch und sammelnd arbeitender Museumsmitarbeiter_innen, die mit den Communitys sprechen und zuhören, um gelebten Erfahrungen näherzukommen.

Sammlungsaufruf: LGBTIQ+ und die Kultur- und Technikgeschichte von Pink
In Zusammenarbeit mit der Homosexuellen Initiative (HOSI) und QWIEN - Zentrum für queere Geschichte wurde ein Sammlungsaufruf für pinke Dinge aus der LGBTIQ+-Community gestartet. Gesammelt wurde u. a. das Etikettiergerät einer_eines Non-Binary-Nutzer_in, das eine vielschichtige Geschichte erzählen kann: Es wird zum Etikettieren und Labeln gebraucht, während Labelling, das oft stereotype, vereinfachende und knappe Beschreiben von etwas oder jemandem, nicht nur in der queer community als stigmatisierend empfunden wird und sich queer keiner Definition verpflichtet sieht.

Wo Labels praktisch und sinnvoll sind, hilft ein Etikettiergerät, allerdings wird unter „Labelling“ auch eine vereinfachte, stereotype Beschreibung verstanden
Wo Labels praktisch und sinnvoll sind, hilft ein Etikettiergerät, allerdings wird unter „Labelling“ auch eine vereinfachte, stereotype Beschreibung verstanden
Offen konzipierte Sammelaufrufe sind eine Möglichkeit, eigene Deutungshoheiten zu hinterfragen, Teilhabe und viele Perspektiven zu ermöglichen. So wird ein Ansatz verfolgt, der auf Gemeinschaften, deren Individuen und Artefakte abzielt. Auch das Sammeln und Dokumentieren von Nutzer_innengeschichten macht queeres Leben in Sammlungen sichtbarer. Werden in technischen Museen in erster Linie Informationen zu Funktion, Herstellung und technischen Merkmalen eines Objektes dokumentiert, erzählt der „Lebenslauf“ von Objekt und Nutzer_in über die Aneignung und Nutzung. Gleichzeitig helfen diese Nutzer_innengeschichten bei der Einordnung in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit. Ohne sie besteht die Gefahr, die historische Vielfalt von Geschlecht und Sexualität auszublenden.

In der Ausstellung „Geliebt – Gelobt - Unerwünscht“ geben die NutzerInnen von Haushaltsgeräten Einblicke in ihre Erinnerungen zu geliebten Wegbegleitern, unerwünschten Geschenken und enttäuschten Versprechen
In der Ausstellung „Geliebt – Gelobt - Unerwünscht“ geben die NutzerInnen von Haushaltsgeräten Einblicke in ihre Erinnerungen zu geliebten Wegbegleitern, unerwünschten Geschenken und enttäuschten Versprechen
Gleichzeitig bestehen Herausforderungen im Umgang mit Material zur Geschichte und Kultur von LGBTIQ+ in Fragen der Dokumentation und Kuratierung. Schließlich steht die Idee des Museums als meinungsbildende, Normen prägende Institution der Idee von Queerness als nicht festzuschreibendem Konzept entgegen. Objekte verändern ihre Bedeutung durch Einordnung in den musealen Kontext. Durch das Markieren vermeintlicher Abweichungen wird Normalität erst herstellt und der Akt der Klassifizierung beinhaltet ein In- und Exkludieren. Als „Labelling“ kann nicht nur das in der Museumsarbeit bei verschiedenen Prozessen praktizierte Kategorisieren, u. a. bei der Bearbeitung von Objekten und dem Verfassen von Objektbeschriftungen für Ausstellungen, sondern auch eine gesellschaftliche Stigmatisierung verstanden werden. Ganz grundsätzlich herrscht ein Dilemma hinsichtlich binärer Festschreibungen in der Dokumentation, wie u. a. in Museumsdatenbanken: Benennungen reproduzieren Stereotype, Nicht-Benennungen führen zu Unsichtbarkeit. Nicht nur dieser Schwierigkeit wird sich die zukünftige Arbeit im „queeren Museum“ stellen. Die Arbeit am Thesaurus, u.a. mit einem genderspezifischen Schlagwortangebot, ist ein Teil davon. Auch Workshops sowohl zur Sensibilisierung der Mitarbeiter_innen als auch mit internationalen Gästen zur Vernetzung von Theorie und Praxis gehören dazu. Museen zu queeren ist bereichernd und heißt, Sichtweisen zu hinterfragen und diverse Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Akteur_innen und ihre Geschichten können der Schlüssel sein.

Im Rahmen des "Fokus Gender" am Technischen Museum Wien finden auch internationale Diskussionsformate und Vernetzungstreffen statt:

Pandemiebedingt auf Frühjahr 2022 verschoben: 2nd Vienna Workshop on STEM Museums, Gender and Sexuality: „Feminist and Queer Perspectives on Food

Rückblick auf den 1st Vienna Workshop on STEM Museums, Gender and Sexuality: “Outer Edge: Queer(y)ing STEM Collections

Literaturempfehlung:
Joshua G. Adair, Amy K. Levin, Museums, Sexuality, and Gender Activism, 2020.

Sophie Gerber (TMW) ist Technikhistorikerin und verantwortlich für den „Fokus Gender“.