Aber das Rad hat sie nicht erfunden. Niemand in der Natur trägt Rad. Nichts dreht sich an einer Achse. Keine Straßen. Die hat sie auch nicht erfunden. Aber Wege. Immerhin. Treppelwege. Pfade, die sich entwickeln, je mehr darüber gehen. Aber keine Straßen! Und Räder funktionieren eben nur richtig gut auf Straßen. Andersherum: Gibt es Straßen, werden Räder bevorzugt.
Text: Lothar Bodingbauer
Die Natur hat doch die besten Ideen
Mo 24. Oktober 2022
Es gibt keine Räder in der Natur, weil sie nicht versorgt werden könnten. Adern, in denen das Blut fließt, würden sich aufwickeln, sie würden reißen. Räder kann man nur mit Kugellagern gut betreiben. Mit Gummiflächen, die sich an der Straßenoberfläche reiben. Sie nützen sich ab, und dann wirft man die Räder weg. Das kann sich die Natur nicht leisten.
„Wenn ich an einem Problem arbeite, denke ich nie über Schönheit nach. Aber wenn ich fertig bin und die Lösung nicht schön ist, weiß ich, dass sie falsch ist.“ – R. Buckminster Fuller, Architekt
Bionik heißt, sich Lösungen aus der Natur abzuschauen, die funktionieren. Nachhaltig funktionieren. Abzuschauen, damit ähnliche Aufgaben besser, geschickter, effizienter bewältigt werden können. Mit weniger Energieaufwand möchten wir dasselbe erreichen.
Würde man heute Transportfahrzeuge bauen, dann lohnt sich der Blick in die Natur durchaus. Zum Packesel. Zum Tier, das mit vier Beinen über Stock und Steine hoppelt. Das passiert auch bei den Roboterhunden, die zugegeben ganz schön creepy wirken, wie sie daher tänzeln. Man könnte heute mit diesem Konzept vermutlich auf Autobahnen verzichten. Alles bewegt sich wieder mehr auf Pfaden ¬– die eben keine Räder brauchen.
Aber das ist es nicht. Die Straßen sind nun einmal da. Es wäre vielleicht zu weit gedacht, Bionik so weit zu denken, dass man technische Lösungen, die es in der Natur nicht gibt, wieder abschafft. Das, was in der Natur nicht gibt, das tun wir auch nicht – so wäre die Forderung. Das wird man nicht machen, aber Gedanken dazu sind ebenso wichtig, wie Bionik im klassischen Sinn zu betreiben: die Kunst des Geckos sich abzuschauen, wie der an der Decke klebt. Die Sauberkeit des Lotusblattes auf Solarpaneele zu übertragen. Die filigranen Halmkonstruktionen von Bambus und Getreide auf moderne Häuser und Lagerhallen zu übertragen. Den Klettverschluss sich abzuschauen von Kletten – Pflanzenköpfe, die sich mit Haken an das Fell vorbeistreifender Tiere heften. Ihre Samen werden durch sie auf weiten Strecken verbreitet.
„Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.“ – Henry Ford, Autobauer
Bionik ist auch Grundlagenforschung: Man will verstehen, wie die Aufgaben des Lebens ganz grundsätzlich gelöst werden. Das Wissen darüber fließt in die Gestaltung unserer Erfindungen ein.
„Alles Leben ist Problemlösen.“ – Sir Karl Popper, Philosoph
Es ist spannend, bei Entwicklungen dabei zu sein. Im Guten, wie im Schlechten. Im Übermaß, im Überfluss, in der Verschwendung: sie zu verhindern wäre eine schöne Aufgabe. Wie auch im Mangel, im Wenigen, im Reduzierten: es zu fördern, damit wirklich alle vom Ergebnis profitieren können. Es macht Spaß dabei zu sein, die Dinge so zu entdecken und entwickeln, dass wirklich alle mit an Bord sind und es guthaben in diesem „Raumschiff Erde“.
Von der Natur lernen? Klar! Komm‘ mit auf diese Reise und lass dich inspirieren. Aus der aktuellen Forschung:
Thunfische sind für ihre hohe Schwimmleistung bekannt. Sie besitzen eine große halbmondförmige Rückenflosse und eine Schwanzflosse, die sich von denen anderer Fische unterscheiden. Wir untersuchen die hydrodynamische Interaktion zwischen diesen Flossen, indem zwei tandemförmige 3D-Schlagplatten numerisch modelliert werden.
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Eine der größten Herausforderungen ist die Entwicklung effizienter technologischer Lösungen, die mit komplexen Umgebungen und unvorhersehbaren Zwängen umgehen können. Sich von natürlichen Organismen inspirieren zu lassen, ist ein bekannter Ansatz. Kletterpflanzen etwa sind aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Lebensräume eine wichtige und zugleich innovative Inspirationsquelle. Sie können als Modell für die Entwicklung von Robotern und intelligenten Geräten zur Erkundung und Überwachung sowie für Such- und Rettungseinsätze dienen. Wir untersuchen die Merkmale von Kletterpflanzen und fassen die von ihnen inspirierten technischen Lösungen zusammen.
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Der Monokopter ist eine Art Mikro-Luftfahrzeug, das weitgehend vom Flug von Ahornsamen inspiriert ist. Ein großer Teil seines Rumpfes bildet den einzigen Flügel, an dem alle aerodynamischen Kräfte erzeugt werden, wodurch sie eine sehr effiziente Flugweise erreichen. Wir untersuchen den Flug eines Monokopters mit einem faltbaren, halbstarren Flügel. Das gesamte Fluggerät kann zusammengefaltet werden, wodurch sich seine Grundfläche um 69 Prozent verringert.
F-SAM - The First Foldable Single-Actuator Rotary Wing MAV © AIR Lab (SUTD)
Gelenkige Beine ermöglichen verschiedene Gangarten von Robotern. Bei längeren Strecken kann die beste Gangart die Geschwindigkeit maximieren oder die Transportkosten minimieren. Während Tiere entweder vorwärts (z. B. Insekten) oder seitwärts (z. B. Krabben) laufen, entscheiden sich Hexapod-Roboter oft für das Vorwärtslaufen. In dieser Arbeit vergleichen wir das Vorwärtsgehen mit dem krabbenartigen Seitwärtsgehen. Die Leistung des seitlichen Laufens ist sowohl auf harten Böden als auch auf Sand besser. Die Ergebnisse unterstützt die Entwicklung krabbenähnlicher Laufroboter für künftige Anwendungen.
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Im Wasser ist der Strahlantrieb eine äußerst erfolgreiche Fortbewegungsmethode. Sie wird von vielen Arten genutzt. Unter ihnen zeichnen sich Kopffüßer wie Tintenfische durch ihre Fähigkeit zum Hochgeschwindigkeitsschwimmen aus. Dieser Mechanismus inspiriert die Entwicklung von Unterwasserfortbewegungstechniken, die vor allem bei Robotern mit weichen Körpern nützlich sind. Wir untersuchen die zugrunde liegende Physik und die Entwicklung mechanischer Systeme, die diese Fortbewegungsart nutzen.
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Windkräfte sind die wichtigsten mechanischen Ursachen für das Brechen von Bäumen. Neben anderen Faktoren spielt der Verzweigungsmechanismus eine zentrale Rolle für die Spannungsverteilung und die Stabilität von Bäumen bei Stürmen. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat gezeigt, dass die ursprüngliche Beobachtung von Leonardo da Vinci, wonach der Gesamtquerschnitt der Äste über die Verzweigungsknoten hinweg erhalten bleibt, die optimale Konfiguration ist, um windbedingten Schäden in starren Bäumen zu widerstehen. Wir untersuchen die Rolle der Flexibilität und der Verzweigungsmuster von Bäumen in ihrer Fähigkeit, Spannungen abzuführen.
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Weiterführende Informationen: Branching pattern of flexible trees for environmental load mitigation (IOP Science)
Lothar Bodingbauer ist Radiojournalist, Lehrer und Podcaster.
Lothar Bodingbauer ist Radiojournalist, Lehrer und Podcaster.