Mi 09. November 2022
Weltraumtourismus, das neue „Space Race“ der Milliardäre, Weltraumschrott und die Rückkehr zum Mond: Die aktuellen Entwicklungen in der Raumfahrt haben es wieder in die Schlagzeilen der Medien geschafft, wie zuletzt in den Zeiten des echten „Space Race“ in den 1960er-Jahren. Im Unterschied zu damals spielt heute die Klimakrise und alle Fragen rund um Nachhaltigkeit eine große Rolle. Grund genug, sich auch mit dem Themenkomplex Nachhaltigkeit in der Raumfahrt zu beschäftigen.
Gleich vorweg: Im Vergleich zur Luftfahrt sind die Emissionen von Raketenstarts vernachlässigbar. Der Youtuber Tim Dodd alias „Everyday Astronaut“ hat die Emissionen des Luftverkehrs mit den Raketenstarts verglichen: 2018 gab es weltweit 37,8 Mio. Flüge und 114 Raketenstarts. Flugzeuge stießen 918 Millionen Tonnen CO2 aus, die Raketenstarts „nur“ 0,022780 Mio. Tonnen.
Damit die Raumfahrt gleichviel CO2 wie die Luftfahrt verursacht, hätten im Jahr 2018 die astronomische Zahl von 12.586 Raketenstarts pro Tag stattfinden müssen! Der Anteil der Raumfahrt am globalen Ausstoß der CO2-Emissionen betrug 2018 „nur“ 0,0000059 %. 
Damit könnte dieser Artikel eigentlich auch schon zu Ende sein. Da aber jede eingesparte Tonne CO2 zählt und es auch nicht egal ist, wo und in welche Höhe CO2 ausgestoßen wird, lohnt es sich doch etwas tiefer in die Thematik einzutauchen. 
Nachhaltigkeit in der Raumfahrt berührt mehrere Themenbereiche: Dazu zählt die Frage der Umweltverträglichkeit unterschiedlicher Raketentreibstoffe, die Wiederverwendbarkeit von Raketenhardware und Nachhaltigkeit bei der Produktion von Satelliten genauso wie die Frage der Vermeidung von Weltraumschrott oder der ökologische Fußabdruck der Weltraumtourist_innen. 
 
Wie klimaschädlich ist Weltraumtourismus?
Einen suborbitalen Flug ins All bieten derzeit zwei Unternehmen an. Bei „Virgin Galactic“ und „Blue Origin“ kosten Flüge von 30 bzw. 11 Minuten Dauer 450.000 bzw. 200.000 Dollar. Wiederum nur wenige Minuten davon verbringen die Passagiere tatsächlich in der Schwerelosigkeit jenseits der Karman-Linie in der Höhe von 85 km, bevor es wieder gerade hinunter Richtung Erde geht. Ein solcher Start stößt 232 Tonnen an CO2 aus – verglichen mit den 800 Tonnen CO2, die ein Flugzeug während eines Transatlantikflugs zwischen London und New York ausstößt, ist diese Zahl fast beruhigend klein. Berücksichtig man allerdings den Pro-Kopf-Verbrauch der Passagiere, sieht die Sache anders aus: In einem Flugzeug können etwa 241 Passagiere transportiert werden, während in einer Kapsel maximal sechs Passagiere Platz finden. Der Pro-Kopf-Ausstoß ist mit 38,5 Tonnen je Astronaut_in über zehnmal so hoch wie für einen Flugpassagier. Sollte in den kommenden Jahren tatsächlich der Weltraumtourismus weiter ausgebaut werden, müssen auch Maßnahmen zu Reduktion des Pro-Kopf-Ausstoßes an CO2 unternommen werden – z. B. durch den Umstieg auf erneuerbare Raketentreibstoffe.
 
Die Besatzung der Mission „New Sheppard-18“ von Blue Origin, die am 13.10.2021 für einen Kurztrip ins Weltall startete.  Unter ihnen William Shatner bekannt als Captain Kirk aus der Serie Raumschiff Enterprise. Neben ihm flogen noch Glen de Vries Audrey Powers und Chris Boshuizen (von links nach rechts) : Die Besatzung der Mission „New Sheppard-18“ von Blue Origin, die am 13.10.2021 für einen Kurztrip ins Weltall startete. 
Unter ihnen William Shatner bekannt als Captain Kirk aus der Serie Raumschiff Enterprise. Neben ihm flogen noch Glen de Vries
Audrey Powers und Chris Boshuizen (von links nach rechts)
Die Besatzung der Mission „New Sheppard-18“ von Blue Origin, die am 13.10.2021 für einen Kurztrip ins Weltall startete. Unter ihnen William Shatner bekannt als Captain Kirk aus der Serie Raumschiff Enterprise. Neben ihm flogen noch Glen de Vries Audrey Powers und Chris Boshuizen (von links nach rechts)
Wie klimaschädlich sind Raketentreibstoffe?
Raketen verbrennen unterschiedliche Treibstoffkombinationen, seien sie nun flüssig oder fest. Am schädlichsten für die Umwelt sind Feststoffraketen. Meistens werden sie als seitlich montierte Zusatzraketen beim Start verwendet, da sie sehr effizient sind und bis zu 85 % des Schubs beim Start erzeugen. So verwendet die neue Mondrakete der NASA, das „Space Launch System“ (SLS), zwei Feststoffbooster, die eine Weiterentwicklung der Booster aus dem Space-Shuttle-Programm sind. Auch die europäische „Ariane 5“-Rakete und die neue „Ariane 6“ haben seitlich montierte Feststoffraketen. Die europäische „Vega C“ ist eine fast reine Feststoffrakete. Das Schädliche an Feststoffraketen ist weniger der Ausstoß an CO2, sondern die große Menge an Ruß- und Aluminiumpartikel, die die Erderwärmung weiter beschleunigen.
 
Start der Ariane 5 mit den mächtigen, seitlich montierten Feststoffraketen: Start der Ariane 5 mit den mächtigen, seitlich montierten Feststoffraketen
Start der Ariane 5 mit den mächtigen, seitlich montierten Feststoffraketen
Bei den meisten Flüssigraketen wie der „SLS“, „Atlas 5“, „Ariane 5“ oder „Ariane 6“ wird flüssiger Wasserstoff und Sauerstoff als Treibstoff verwendet. Bei der Verbrennung entsteht nur Wasserdampf, dessen Ausstoß zumindest in den unteren Atmosphärenschichten unbedenklich ist. Allerdings ist die Herstellung das Problem: Heute wird im industriellen Maßstab Wasserstoff aus Erdgas hergestellt und damit ist auch seine Verbrennung nicht klimaneutral. Dieser sogenannte „graue Wasserstoff“ kann durch „grünen Wasserstoff“ aus Elektrolyse von Wasser ersetzt werden. „ArianeGroup“, die Betreiberfirma der europäischen Trägerraketen, hat bereits 2020 versprochen, in Zukunft nur mehr „grünen Wasserstoff“ in ihre Raketen zu tanken. 
Die „Falcon 9“-Rakete von SpaceX, die mit 50 Starts im Jahr und einem Anteil von fast einem Drittel an globalen Starts derzeit der Platzhirsch unter den Raketen ist, tankt RP1 (Kerosin) und flüssigen Sauerstoff. RP1 wird aus Rohöl destilliert und setzt bei der Verbrennung Stickoxide und CO2 frei, das besonders in der oberen Atmosphäre die Klimaerwärmung beschleunigt. Jede „Falcon 9“ verbrennt bei einem Flug 155 Tonnen Kerosin und 362 Tonnen Sauerstoff. Was den CO2-Ausstoß betrifft, ist ein Flug einer „Falcon 9“ so schädlich wie fünf Transatlantikflüge eines Jumbojets. Nur gibt es eben im Jahr „nur“ in etwa 150 Raketenstarts, aber dafür 46,8 Millionen Flüge (Stand 2019) mit einem Passagierflugzeug.
 
Modelle der Ariane 6, Vega C und der Falcon 9 in der Dauerausstellung des Technischen Museums Wien: Modelle der Ariane 6, Vega C und der Falcon 9 in der Dauerausstellung des Technischen Museums Wien
Modelle der Ariane 6, Vega C und der Falcon 9 in der Dauerausstellung des Technischen Museums Wien
Der Raketentreibstoff der Zukunft wird aus flüssigem Sauerstoff und flüssigem Biomethan bestehen, da diese Kombination Vorteile sowohl für die Umwelt, die Performance der Raketen und auch technische Erleichterungen für den Betankungsvorgang bringen wird. Die Entwicklung eines solchen Raketentriebwerks finanziert die Europäische Kommission durch das Projekt „Enlighten“. Und auch die von „SpaceX“ derzeit geplante Marsrakete „Starship“ wird durch diese Treibstoffkombination angetrieben werden.

Raumschiff von SpaceX: komplett wiederverwendbar und angetrieben durch flüssigen Sauerstoff und Methan: Raumschiff von SpaceX: komplett wiederverwendbar und angetrieben durch flüssigen Sauerstoff und Methan
Raumschiff von SpaceX: komplett wiederverwendbar und angetrieben durch flüssigen Sauerstoff und Methan
Wie nachhaltig ist die Herstellung von Raketen? 
Raketen bestehen zum Großteil aus Tanks für Treibstoffe, Raketentriebwerken, elektronischen Bauteilen zur Flugsteuerung und der Nutzlast, die aus einer Raumkapsel oder einem Satelliten besteht. Die Tanks sind meist aus Aluminium gefertigt, immer öfter werden auch leichte Kohlenfaserverbundstoffe verbaut. Raketentriebwerke sind sehr komplexe Motoren, die hohen Temperaturen und Belastungen standhalten müssen, weshalb auch besonders hochwertige und teure Materialien verbaut sind. Bis auf die „Falcon 9“ von „SpaceX“ sind alle bisher eingesetzten Raketentypen nicht wiederverwendbar, also Wegwerfraketen. Nur bei der „Falcon 9“ kann sowohl die erste Raketenstufe als auch die Schutzverkleidung für die Satelliten an der Spitze der Rakete wiederverwendet werden. Die erste Stufe landet nach der Abtrennung entweder auf einem Schiff im Meer oder in der Nähe des Startplatzes auf ausfahrbaren Landefüßen – einzelne Stufen sind bereits 14-mal geflogen. Die beiden Hälften der Satellitenverkleidungen gleiten an Fallschirmen ins Meer, wo sie von Schiffen geborgen werden. Nur die zweite Stufe der „Falcon 9“ wird derzeit nicht wiederverwendet, sie wird nach dem Aussetzen der Satelliten in der Umlaufbahn neuerlich gezündet und kontrolliert über den Südpazifik zum Absturz gebracht und verglüht dabei großteils in der Atmosphäre. Bei den anderen Raketenbetreibern versinkt die erste Stufe entweder vor der Küste Floridas oder Französisch-Guayanas im Atlantik: Bei Starts russischer Raketen von Baikonur in Kasachstan zerschellen die Raketenstufen in der unbewohnten Steppe, während bei chinesischen Starts Raketenteile auch schon auf Bauernhäuser und Feldern niedergingen und zum Teil beträchtlichen Sachschaden anrichteten.
 
Bei der „Falcon 9“ kann die erste Raketenstufe und die Schutzverkleidung für die Satelliten an der Spitze der Rakete wiederverwendet werden. Im Bild ist die erste Stufe bei der Landung zu sehen: Bei der „Falcon 9“ kann die erste Raketenstufe und die Schutzverkleidung für die Satelliten an der Spitze der Rakete wiederverwendet werden. Im Bild ist die erste Stufe bei der Landung zu sehen
Bei der „Falcon 9“ kann die erste Raketenstufe und die Schutzverkleidung für die Satelliten an der Spitze der Rakete wiederverwendet werden. Im Bild ist die erste Stufe bei der Landung zu sehen
Solange nur zwischen 100 und 150 Raketenstarts im Jahr stattfinden, ist es oft billiger, die Raketenteile in kleiner Serie zu erzeugen, als sie wiederzuverwenden. Aufgrund des Erfolgs der „Falcon 9“ testen nun auch chinesische und europäische Hersteller den Umstieg auf wiederverwendbare Raketen. Um 2030 soll in Europa die teilweise wiederverwendbare „Ariane Next“ zur Verfügung stehen, die einer „Falcon 9“ sehr ähnlich sein wird. 

Vermeidung von Weltraummüll
Die Sorge steigt, dass in den nächsten Jahren durch einen Kaskaden-Effekt (Kessler-Syndrom) der Zugang der Menschheit zum Weltraum durch eine die Erde umkreisende Trümmerwolke von Weltraumschrott für immer versperrt sein wird. Um das zu verhindern, werden einerseits Missionen zur Müllbeseitigung im Weltraum geplant und anderseits der Versuch unternommen, international verbindliche Regelungen zur Vermeidung von zukünftigem Weltraumschrott zu treffen. Ca. 7.000 größere Objekte befinden sich im Orbit, davon sind nur in etwa die Hälfte funktionsfähige Satelliten. Die Zahl von kleineren Objektteilen geht bereits in die Millionen. Besonders gefährlich sind alte Raketenstufen, da sie noch Reste von Treibstoff enthalten, die mit der Zeit sich selbst entzünden und dadurch Tausende weitere Trümmer erzeugen können. 
Es gibt noch kein internationales Übereinkommen zur Vermeidung von Weltraumschrott. Seit etwa 20 Jahren halten sich die USA und Europa an eigene Regeln zur Vermeidung von Müll. So werden ausgebrannte Raketenstufen und auch ausgediente Satelliten im erdnahen Orbit kontrolliert zum Absturz gebracht, damit sie nicht andere Objekte gefährden.
Es gilt aber auch im Weltraum, was auf der Erde Gültigkeit hat: Am besten ist Müllvermeidung, der Umstieg auf nachhaltige Bauteile und das Recyceln. Schon beim Bau von Satelliten und Raketen soll in Zukunft auf die ressourcenschonende Produktion und Verwendung von nachhaltigen Rohstoffen Rücksicht genommen werden. In Japan experimentiert man schon mit Holz als Ersatz für Aluminium im Satellitenbau und mit Servicemissionen sollen die Tanks alter Satelliten wieder aufgefüllt werden, um die Lebensdauer von Satelliten zu verlängern.
 
Prototyp eines Satelliten aus Holz: Prototyp eines Satelliten aus Holz
Prototyp eines Satelliten aus Holz
In der Öffentlichkeit ist das Bild von der umweltschädlichen Raumfahrt vorherrschend. Im Faktenvergleich zur Luftfahrt schneidet die Raumfahrt aber (noch) viel besser ab. Nimmt die Anzahl der Starts auf mehrere Hundert zu, so wie es für das Ende der 2020er-Jahre vorausgesagt wird, wird es auch ökonomisch und ökologisch sinnvoller, so viel wie möglich von einer Rakete und eines Satelliten wiederzuverwenden und auf mehr Nachhaltigkeit beim Bau und Betrieb achtzugeben. Auch Flugzeuge werden nicht nach jedem Flug einfach weggeworfen, sondern wiederverwendet.
 
Christian Klösch, Kustos für Raumfahrt im Technischen Museum Wien

Weiterführende Links
 
Everyday Astronaut: How Much Do Rockets Pollute? Are They Bad For Our Air?
 
Senkrechtstarter: SpaceX Starship Rakete erneuerbar betreiben – geht das?
 
Suborbitaler Weltraumtourismus und wieso jede Person zählt.