In der Natur gibt es alle Varianten von Lebensformen und Lebensstilen. Manche kapern sich ein Schneckenhaus wie der Einsiedlerkrebs, andere wiederum schätzen die dichte Nähe von anderen. Sie bilden Gruppen, Herden oder richtig große Schwärme. Und das in der Luft, im Wasser und auf dem Boden, wie etwa Stare, Sardinen oder Heuschrecken.
Text: Ilse Huber
Los, den anderen nach! Anziehungskraft eines Schwarmes
Di 17. Januar 2023
Schwarm oder Nicht-Schwarm
Ein Schwarm besteht aus unzähligen Individuen, die in die gleiche Richtung fliegen, springen oder schwimmen. Sie bilden einen einheitlich formierten dreidimensionalen mobilen Verband. Und das macht ihn so außergewöhnlich. Wer kann schon von einem Schwarm Stare wegschauen, wenn sich diese lebendige Wolke sekündlich verändert? Bei einem Heuschreckenschwarm ist das wahrscheinlich anders, da stockt der Atem – in der Gewissheit alles Fressbare ist binnen kürzester Zeit weg.
Ein Schwarm besteht aus unzähligen Individuen, die in die gleiche Richtung fliegen, springen oder schwimmen. Sie bilden einen einheitlich formierten dreidimensionalen mobilen Verband. Und das macht ihn so außergewöhnlich. Wer kann schon von einem Schwarm Stare wegschauen, wenn sich diese lebendige Wolke sekündlich verändert? Bei einem Heuschreckenschwarm ist das wahrscheinlich anders, da stockt der Atem – in der Gewissheit alles Fressbare ist binnen kürzester Zeit weg.
Ein gewaltiges Naturereignis: Jährlich tauchen vor der Küste Südafrikas riesige Mengen Sardinen auf
© Shutterstock
Bestens strukturiert und organisiert
Ein Schwarm ist hochgradig geordnet, weil sich die einzelnen Tiere mit den unmittelbaren Nachbarn koordinieren. Mit welcher Präzision das geschieht, hat Charlotte Hemelrijk untersucht. Sie ist Professorin für Selbstorganisation in sozialen Systemen vom Department Verhaltensökologie an der Universität Groningen in den Niederlanden: „Die Schwärme von Staren sind einzigartig wegen der Tatsache, dass, wenn sie schlafen gehen, sie über den Baumkronen richtiggehend tanzen.“ Wie dieses Verhalten zustande kommt, ist aus reiner Beobachtung nicht herauszufinden. Die Biologin kombiniert die Verhaltensforschung mit computergestützten Anwendungen. Dank der Computermodelle lassen sich die Funktionen und die Abläufe innerhalb des Vogelschwarmes leichter identifizieren. So stellte Charlotte Hemelrijk fest, dass die nächste Umgebung des einzelnen Vogels ausschlaggebend dafür ist, wie die Formation funktioniert: „Die durchschnittliche Distanz von einem Star zum anderen beträgt einen Meter. Die Tiere achten auf die sieben nächsten Nachbarn. Wenn Raubvögel angreifen, zeigen die Stare viele Arten von kollektiven Ausweichmustern.“
Beeindruckende Himmelsbilder
So bilden Stare im Flug Spiralen, konzentrische Ringe oder bewegte Linien am Himmel. Diese Dynamik wird durch ein paar Vögel am Rand ausgelöst, die schneller als der restliche Schwarm vom Angreifer wegfliegen. Charlotte Hemelrijk nennt das die „Bewegungswelle“. Mittels Computersimulation konnte sie nachweisen, dass diese Wellen entstehen, weil die Vögel rasant ihre Flugrichtung wechseln. Es ist also keine Frage, wie dicht die einzelnen Individuen fliegen, sondern wie sie aufeinander reagieren. Außerdem hat die Forscherin bei ihren Vogelbeobachtungen herausgefunden, dass dieses Verhalten völlig eigenständig, quasi aus sich selbst heraus passiert: „Es gibt keinen Anführer, das ist selbst organisiert und in einem Computermodell sieht man: Das ist Bottom-up. Die Tiere rollen, wenn sie angegriffen werden, auf die Seite. Wenn sie das tun, dann sieht man eine größere Oberfläche wegen der aufgestellten Flügel. Daraus ergibt sich ein kollektiver Vorteil für den Schwarm: Sie verwirren den Raubvogel.“
Von Weitem wirkt der Vogelschwarm wie ein amorpher Körper, dessen Aussehen ständig variiert. Dazu nutzen die Tiere die Dreidimensionalität des Raumes und drehen sich 90 Grad um die eigene Achse. Sie wirken wie eine unfassbare Wolke, die mit ihren Zickzackkursen die Beobachter in ihren Bann zieht. So auch den Zoologen Kurt Kotrschal von der Universität Wien: „Es frappiert immer wieder, wie diese Zehntausenden Individuen so synchronisiert schwimmen oder fliegen können, als hätte jeder dieselbe Steuereinheit im Gehirn. Und siehe da: Das ist so! Das scheint ein hochmechanisierter Vorgang zu sein, ohne viel Nachdenken oder Kognition. Das sind rein optomotorische Reflexe.“
Ein Schwarm ist hochgradig geordnet, weil sich die einzelnen Tiere mit den unmittelbaren Nachbarn koordinieren. Mit welcher Präzision das geschieht, hat Charlotte Hemelrijk untersucht. Sie ist Professorin für Selbstorganisation in sozialen Systemen vom Department Verhaltensökologie an der Universität Groningen in den Niederlanden: „Die Schwärme von Staren sind einzigartig wegen der Tatsache, dass, wenn sie schlafen gehen, sie über den Baumkronen richtiggehend tanzen.“ Wie dieses Verhalten zustande kommt, ist aus reiner Beobachtung nicht herauszufinden. Die Biologin kombiniert die Verhaltensforschung mit computergestützten Anwendungen. Dank der Computermodelle lassen sich die Funktionen und die Abläufe innerhalb des Vogelschwarmes leichter identifizieren. So stellte Charlotte Hemelrijk fest, dass die nächste Umgebung des einzelnen Vogels ausschlaggebend dafür ist, wie die Formation funktioniert: „Die durchschnittliche Distanz von einem Star zum anderen beträgt einen Meter. Die Tiere achten auf die sieben nächsten Nachbarn. Wenn Raubvögel angreifen, zeigen die Stare viele Arten von kollektiven Ausweichmustern.“
Beeindruckende Himmelsbilder
So bilden Stare im Flug Spiralen, konzentrische Ringe oder bewegte Linien am Himmel. Diese Dynamik wird durch ein paar Vögel am Rand ausgelöst, die schneller als der restliche Schwarm vom Angreifer wegfliegen. Charlotte Hemelrijk nennt das die „Bewegungswelle“. Mittels Computersimulation konnte sie nachweisen, dass diese Wellen entstehen, weil die Vögel rasant ihre Flugrichtung wechseln. Es ist also keine Frage, wie dicht die einzelnen Individuen fliegen, sondern wie sie aufeinander reagieren. Außerdem hat die Forscherin bei ihren Vogelbeobachtungen herausgefunden, dass dieses Verhalten völlig eigenständig, quasi aus sich selbst heraus passiert: „Es gibt keinen Anführer, das ist selbst organisiert und in einem Computermodell sieht man: Das ist Bottom-up. Die Tiere rollen, wenn sie angegriffen werden, auf die Seite. Wenn sie das tun, dann sieht man eine größere Oberfläche wegen der aufgestellten Flügel. Daraus ergibt sich ein kollektiver Vorteil für den Schwarm: Sie verwirren den Raubvogel.“
Von Weitem wirkt der Vogelschwarm wie ein amorpher Körper, dessen Aussehen ständig variiert. Dazu nutzen die Tiere die Dreidimensionalität des Raumes und drehen sich 90 Grad um die eigene Achse. Sie wirken wie eine unfassbare Wolke, die mit ihren Zickzackkursen die Beobachter in ihren Bann zieht. So auch den Zoologen Kurt Kotrschal von der Universität Wien: „Es frappiert immer wieder, wie diese Zehntausenden Individuen so synchronisiert schwimmen oder fliegen können, als hätte jeder dieselbe Steuereinheit im Gehirn. Und siehe da: Das ist so! Das scheint ein hochmechanisierter Vorgang zu sein, ohne viel Nachdenken oder Kognition. Das sind rein optomotorische Reflexe.“
In den Sümpfen von Südwestjütland, Dänemark, tritt jeden Frühling und Herbst eines der faszinierendsten Naturphänomene auf: Hunderttausende von Staren versammeln sich dort auf ihrer Zugreise. Dieses Ereignis hat der dänische Fotograf Søren Solkær für sein Projekt „Black Sun“ festgehalten.
Eine neuronale Schaltfläche
Dank der visuellen Wahrnehmung richten die Tiere die eigene Motorik nach dem Verhalten der anderen aus. Höher entwickelte Tiere wie Vögel oder Säugetiere beherrschen die Kunst des Imitierens, Täuschens und Tarnens. Ihr Gehirn schafft es, bestimmte Nerven im sogenannten Motorcortex, das ist eine Region in der Gehirnmitte, zu aktivieren. Kurt Kotrschal: „Wir sind draufgekommen, dass, wenn ich meinen rechten Arm hebe oder wenn ich sehe, dass wer anderer seinen rechten Arm hebt, Nervenzellen im Bereich des Motorcortex aktiv werden. Und zwar immer dieselben Nervenzellen. Und es ist egal, ob man zuschaut oder die Bewegung selbst ausübt. Wir denken heute, dass das ganz basale Systeme sind, die letztlich dafür entwickelt wurden, Gruppen zu synchronisieren.“ Diese spezielle Nervenzelle heißt Spiegelneuron und wurde erstmals 1992 vom Italiener Giacomo Rizzolatti beschrieben. Er stellte fest, dass Makakenaffen immer die Greifbewegungen ihrer Artgenossen imitieren, um zu Futter zu kommen.
Strategie versus Instinkt
Warum ein Schwarm überhaupt funktioniert, hat unterschiedliche Ursachen, sagt Kurt Kotrschal. Vögel oder Säugetiere nutzen das koordinierte Zusammenspiel etwa als Verteidigungsstrategie. Im Gegensatz dazu formiert sich der instinktive Schwarm, dazu Kurt Kotrschal: „Bei den Insekten gibt es die sozialen Hautflügler. Termiten errichten riesige Bauten. Die Leistung des Gesamtstaates beruht auf sehr einfachen Interaktionsregeln. Instinkte spielen eine große Rolle und zum Lernen bleibt relativ wenig Platz.“
Kommunikation
Neben Kooperation und Koordination ist noch eine dritte Komponente im Schwarm ausschlaggebend: die Kommunikation. Sie ermöglicht es allen, an einem Strang zu ziehen. Die Tiere senden Signale, die von Ihresgleichen verstanden werden. Der Chemiker Jean-Louis Deneubourg forscht über kollektive Intelligenz und selbstorganisierende Superorganismus-Systeme. An der Freien Universität Brüssel untersucht er das kollektive Verhalten unter anderem von Kakerlaken. Der Schlüssel zum gemeinsamen Interagieren liegt in der richtigen Verständigung, sagt er: „Es herrscht kein Zweifel, dass Kommunikation stattfindet. Konkret muss jedes Individuum seine Artgenossen wahrnehmen und erkennen. Im Fall der Kakerlaken passiert das auf chemischem Wege. Durch den Geruch.“
Dank der visuellen Wahrnehmung richten die Tiere die eigene Motorik nach dem Verhalten der anderen aus. Höher entwickelte Tiere wie Vögel oder Säugetiere beherrschen die Kunst des Imitierens, Täuschens und Tarnens. Ihr Gehirn schafft es, bestimmte Nerven im sogenannten Motorcortex, das ist eine Region in der Gehirnmitte, zu aktivieren. Kurt Kotrschal: „Wir sind draufgekommen, dass, wenn ich meinen rechten Arm hebe oder wenn ich sehe, dass wer anderer seinen rechten Arm hebt, Nervenzellen im Bereich des Motorcortex aktiv werden. Und zwar immer dieselben Nervenzellen. Und es ist egal, ob man zuschaut oder die Bewegung selbst ausübt. Wir denken heute, dass das ganz basale Systeme sind, die letztlich dafür entwickelt wurden, Gruppen zu synchronisieren.“ Diese spezielle Nervenzelle heißt Spiegelneuron und wurde erstmals 1992 vom Italiener Giacomo Rizzolatti beschrieben. Er stellte fest, dass Makakenaffen immer die Greifbewegungen ihrer Artgenossen imitieren, um zu Futter zu kommen.
Strategie versus Instinkt
Warum ein Schwarm überhaupt funktioniert, hat unterschiedliche Ursachen, sagt Kurt Kotrschal. Vögel oder Säugetiere nutzen das koordinierte Zusammenspiel etwa als Verteidigungsstrategie. Im Gegensatz dazu formiert sich der instinktive Schwarm, dazu Kurt Kotrschal: „Bei den Insekten gibt es die sozialen Hautflügler. Termiten errichten riesige Bauten. Die Leistung des Gesamtstaates beruht auf sehr einfachen Interaktionsregeln. Instinkte spielen eine große Rolle und zum Lernen bleibt relativ wenig Platz.“
Kommunikation
Neben Kooperation und Koordination ist noch eine dritte Komponente im Schwarm ausschlaggebend: die Kommunikation. Sie ermöglicht es allen, an einem Strang zu ziehen. Die Tiere senden Signale, die von Ihresgleichen verstanden werden. Der Chemiker Jean-Louis Deneubourg forscht über kollektive Intelligenz und selbstorganisierende Superorganismus-Systeme. An der Freien Universität Brüssel untersucht er das kollektive Verhalten unter anderem von Kakerlaken. Der Schlüssel zum gemeinsamen Interagieren liegt in der richtigen Verständigung, sagt er: „Es herrscht kein Zweifel, dass Kommunikation stattfindet. Konkret muss jedes Individuum seine Artgenossen wahrnehmen und erkennen. Im Fall der Kakerlaken passiert das auf chemischem Wege. Durch den Geruch.“
Das Verhalten der Kakerlake in der Gruppe wird an der Freien Universität Brüssel untersucht
© Shutterstock
Ein Schwarm funktioniert nur dann, wenn die einzelnen Organismen sich untereinander austauschen. Nachrichten können auf ganz verschiedene Weise vermittelt werden. Olfaktorisch, also über den Geruchssinn, akustisch wie beim Vogelgesang, motorisch wie beim Bienentanz, elektrisch wie bei bestimmten Fischarten. In der Entwicklungsgeschichte des Lebens bleiben nur die erfolgreichen Konzepte bestehen. Jenes der Schwarmbildung hat sich auf dem Land, in der Luft und im Wasser durchgesetzt. Die Gründe für den Schwarm-Erfolg sind vielfältig:
Für manch andere Gruppierung treffen obige Kriterien teilweise auch zu. Kühe, Schafe, Ziegen oder Elefanten bilden Herden. Auch dort kümmern sich Individuen um ihre Mitglieder. Allerdings fehlen die zielgerichtete Fortbewegung und die mobile Ausrichtung aufeinander. Ein Rudel wiederum gesellt sich nur dann zusammen, wenn Wölfe, Löwen, Hyänen gemeinsam auf die Jagd gehen.
Und der Mensch? Ein Schwarmwesen? Kommt darauf an. Auch er richtet seine Wege in gewissen Situationen nach seinen Nächsten: Siehe Landung auf dem Flughafen und der Weg zur Gepäckausgabe. Der erste schaut, die anderen folgen. Dass das aber mitunter in einer Sackgasse enden kann, ist eine andere Geschichte. Aber in der Intelligenz eines Schwarmes liegt gleichzeitig auch ein gewisses Maß an Dummheit!
Ilse Huber (Ö1) macht Natur und Wissenschaft multimedial zum Thema.
- Geringeres Risiko, gefressen zu werden
- Hilfe anderer Tiere bei der Nahrungssuche
- Kräfte-Ersparnis: Sich im Windschatten weiter zu bewegen, kostet weniger Energie
- Aufzuchtsvorteile, weil Jungtiere im Verband der Alten einerseits geschützt und andererseits angeleitet werden
- Große Auswahl der Partner, wenn es um die Fortpflanzung geht
- Die Aufmerksamkeit vieler und gegenseitiges Warnen bei Gefahr
Für manch andere Gruppierung treffen obige Kriterien teilweise auch zu. Kühe, Schafe, Ziegen oder Elefanten bilden Herden. Auch dort kümmern sich Individuen um ihre Mitglieder. Allerdings fehlen die zielgerichtete Fortbewegung und die mobile Ausrichtung aufeinander. Ein Rudel wiederum gesellt sich nur dann zusammen, wenn Wölfe, Löwen, Hyänen gemeinsam auf die Jagd gehen.
Und der Mensch? Ein Schwarmwesen? Kommt darauf an. Auch er richtet seine Wege in gewissen Situationen nach seinen Nächsten: Siehe Landung auf dem Flughafen und der Weg zur Gepäckausgabe. Der erste schaut, die anderen folgen. Dass das aber mitunter in einer Sackgasse enden kann, ist eine andere Geschichte. Aber in der Intelligenz eines Schwarmes liegt gleichzeitig auch ein gewisses Maß an Dummheit!
Ilse Huber (Ö1) macht Natur und Wissenschaft multimedial zum Thema.