Insektenabwehr ohne Gift und Umweltverschmutzung – ist das möglich? Ein Blick auf die physikalischen Abwehrmechanismen von Pflanzen und was wir daraus lernen können.
Text: Florian Gisinger
Natürliche Insektenabwehr
Mi 01. März 2023
Insekten spielen eine immense Rolle in der Natur und für unser Überleben: Sie bestäuben einen Großteil der Pflanzen an Land und helfen so bei deren Verbreitung und Reproduktion. Wenn Insekten im Ökosystem fehlen, hat dies für uns enorme Anstrengungen und Kosten zur Folge, sollen diverse Pflanzen erhalten und ihre Früchte geerntet werden können. Die Bestäubung muss dann per Hand vonstattengehen, was sowohl arbeits- als auch zeitintensiv ist.
Schmetterlinge bestäuben häufig Pflanzen, die für andere Bestäuber nicht erreichbar sind. Dank ihres Saugrüssels ist es ihnen möglich, Nektar aus bis zu 40 Millimeter tiefen Röhrenblüten zu saugen. Dabei sind Schmetterlingsarten oftmals hoch spezialisiert und besuchen nur einige ausgewählte Pflanzenarten
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Außerdem dienen Insekten als Eiweißquelle für andere Tiere und für Menschen, wodurch sie einen gewichtigen direkten Teil der Nahrungskette bilden. Nicht zuletzt sind Haltung und Zucht eines Insekts, der Biene, ein wichtiges wirtschaftliches Standbein für ländliche Gemeinden.
Insekten können aber auch Schaden bringen: Moskitos und Zecken etwa übertragen eine Vielzahl an Infekten und Krankheiten, darunter Malaria und Dengue-Fieber; allein daran sterben laut der Weltgesundheitsorganisation WHO bis zu 500.000 Menschen jährlich. Einige Insekten fressen auch ebenjene Pflanzen, die von anderen bestäubt werden und Grundlage unserer Essensversorgung sind: Bis zu 20 Prozent der Verluste in der Landwirtschaft sind auf pflanzenfressende Insekten zurückzuführen. Bis 2050 wird jedoch eine Verdoppelung der landwirtschaftlichen Produktion gegenüber 2005 nötig sein, um den globalen Bedarf an Nahrungsmitteln zu decken. Für diese Effizienzsteigerung gilt es, die Verluste so gering als möglich zu halten.
Insekten können für uns also sowohl hilfreich wie auch schädlich sein. Wie hält man nun die, die uns schaden können, davon ab, dies zu tun, ohne die hilfreichen zu verletzen? Die am weitesten verbreitete Methode zur Abwehr von Schädlingen besteht im Einsatz von Insektiziden. Das sind Chemikalien, die entwickelt wurden, um Insekten zu töten oder ihr ungewolltes Verhalten zu verhindern. Diese Chemikalien unterscheiden jedoch nicht zwischen hilfreichen und schädlichen Insekten, zudem gehen ihre Effekte häufig über das Reich der Insekten hinaus: Ihr großflächiger Einsatz hat zwar zu höheren Erträgen durch weniger Schädlingsbefall geführt, aber auch zur Abnahme von Bestäuber-Populationen und zu Schäden an Vögeln und anderen Organismen, die sich von Insekten ernähren. Ihr Einsatz vergiftet die Umwelt und wird mit dem zunehmenden Verlust an Biodiversität in Verbindung gebracht, darüber hinaus erhöht er das Krebsrisiko beim Menschen. Bei so vielen Nachteilen stellt sich die Frage nach besser verträglichen Alternativen, und ein Blick in die belebte Natur kann dabei helfen, Inspirationen zu sammeln.
Die Oberflächen aller Pflanzen an Land sind von einer Schicht aus organischen Wachsen bedeckt, auf der sich Wachskristalle bilden können. Diese Schicht kann man mit freiem Auge als weißlichen Belag sehen, zum Beispiel auf Zwetschken oder Rotkraut. Die weiße Färbung entsteht durch eine inkohärente Streuung des einfallenden Lichts in alle Richtungen, da die Kristalle zufällig orientiert sind. Beim Versuch, die Schicht durch Reiben zu entfernen, schmilzt die Körperwärme die Wachskristalle an der Oberfläche der Pflanze. Dadurch liegen ihre Größen nicht mehr im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichts und sie können das einfallende Licht nicht mehr streuen, sodass die Schicht transparent wird. Entfernt wird die Schicht dadurch aber nicht, was kein Problem darstellt, denn sie ist ungiftig.
In der Pflanze erfüllt die Wachsschicht als Grenze zur Umwelt mehrere Funktionen: Sie dient als Schutz vor dem Austrocknen, kann die Stabilität der Pflanze verbessern und durch die Lichtstreuung als physikalische Sonnencreme funktionieren, die vor zu starker UV-Strahlung bewahrt und die Oberflächentemperatur regelt. Darüber hinaus verringern die Wachskristalle die Benetzbarkeit der Oberfläche mit Wasser, was zur Säuberung von Schmutz und Staub beiträgt (Lotus-Effekt)
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Für die Pflanze erfüllt die Wachsschicht mehrere Funktionen: Wie erwähnt, bewahrt sie vor dem Austrocknen und durch die Lichtstreuung ist sie eine physikalische Sonnencreme, die vor zu starker UV-Strahlung schützt. Besonders interessant ist in unserem Kontext, welche weitere Aufgabe sie erfüllt: Die Schicht vermag Insekten davon abzuhalten, sich an der Pflanzenoberfläche festzusetzen. Dabei kommen mehrere Faktoren zum Tragen, die wichtigsten scheinen die durch die Wachskristalle erzeugte Rauheit der Oberfläche und das Abbrechen von Wachskristallen zu sein, die Insektenfüße verschmutzen, was wiederum ihre Haftung erschwert. Faszinierenderweise greifen diese Faktoren artenspezifisch: Unterschiedliche Insekten sind unterschiedlich schwer und haben verschiedenartige Füße. Durch Koevolution mit Bestäubern haben blühende Pflanzen Oberflächen entwickelt, auf denen sich die nützlichen Insekten festhalten und fortbewegen können, während antagonistische Koevolution mit Fressfeinden dazu geführt hat, dass ihre Oberflächen deren Festhaltevermögen gezielt reduzieren. So werden Fressfeinde davon abgehalten, Fuß zu fassen, während Bestäubern weiterhin Zugang gewährt wird. Manche Pflanzen nutzen den Effekt sogar für die Jagd: Die tropischen Kannenpflanzen der Gattung Nepenthes bilden Kannen, deren Innenwände durch Wachsbeschichtung so rutschig sind, dass es für einmal hineingefallene Insekten keinen Ausweg mehr gibt. Sie werden im Inneren der Kanne verdaut.
Die Nepenthes rajah ist eine fleischfressende Pflanze. Ihre Kannen gehören zu den größten aller Kannenpflanzen, wodurch sie nicht nur Insekten, sondern auch größere Tiere fangen und verdauen kann
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Ein vielversprechender Ansatz für eine umweltverträgliche Insektenabwehr ist es, solche Wachsbeschichtungen oder deren Oberflächenstruktur nachzubilden und sie auf andere Pflanzen aufzutragen. Dies könnte beispielweise mithilfe eines Sprays, der solche hoch abwehrenden Wachskristalle enthält, funktionieren. Die möglichen Anwendungsgebiete beschränken sich nicht auf die Landwirtschaft: Eine für Mensch und Tier verträgliche physikalische Insektenabwehr könnte auch als Wandbeschichtung eingesetzt werden, um Mosquitos, die zwar fliegen können, aber um Energie zu sparen, die meiste Zeit sitzen, den Aufenthalt in Räumen unangenehm zu machen. Oder man könnte Mistkübel und Lagerregale beschichten, um Kakerlaken und Ameisen fernzuhalten und so Ungeziefer aus dem Haus zu verbannen, was die Aufbewahrung von Vorräten sicherer macht. Vor allem aber stellt dieser Ansatz eine umweltverträgliche Insektenabwehr dar, bei der Respekt vor der Natur und Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen.
Technologisches Denken ist derzeit vielfach an spezifische Materialien gebunden, die durch ihre chemische Zusammensetzung bestimmte Funktionen erfüllen sollen. Die belebte Natur zeigt uns aber immer wieder, dass sie effiziente und naturverträgliche Lösungen für viele technologische Herausforderungen bereithält. Die Natur muss unter Umgebungsbedingungen mit den Ressourcen auskommen, die ihr lokal zur Verfügung stehen, und kann nicht auf Halbleiterindustrie oder Designermaterialien aus dem Labor zurückgreifen. Sie ist somit ein idealer Lehrer im Bereich nachhaltig optimierte Mechanismen, um die Herausforderungen des Lebens zu meistern.
Florian Gisinger, Student des Masterstudiengangs Technische Physik an der TU Wien. Zur Bionik und Biophysik fand er über eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Professorin Ille C. Gebeshuber (Institut für Angewandte Physik der TU Wien).
Literaturtipps
- Gisinger F. and Gebeshuber I. C. "Managing Insect Feet: Biomimetics of Plant Wax Based Non-Toxic Insect Repellents", Poster 3rd International Workshop on Insect Bio-Inspired Technologies, November 17–18, 2022, Royal Society of Edinburgh, UK. DOI: 10.13140/RG.2.2.31442.02244. F. M.
- Borodich, E. V. Gorb, and S. N. Gorb. “Fracture behaviour of plant epicuticular wax crystals and its role in preventing insect attachment: a theoretical approach”. In: Applied Physics A 100 (1) (June 2010), pp. 63–71. DOI: 10.1007/s00339-010-5794-x.
- W. Barthlott, C. Neinhuis, D. Cutler, F. Ditsch, I. Meusel, I. Theisen, and H. Wilhelmi. “Classification and terminology of plant epicuticular waxes”. In: Botanical Journal of the Linnean Society 126.3 (Mar. 1998), pp. 237–260. DOI: 10.1111/j.1095-8339.1998.tb02529.x.
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- E. V. Gorb, J. Purtov, and S. N. Gorb. “Adhesion force measurements on the two wax layers of the waxy zone in Nepenthes alata pitchers”. In: Scientific Reports 4.1 (June 2014). DOI: 10.1038/srep05154.