In der Technik sind queere Themen und Personen lange nicht zu Wort gekommen. Daher gilt Technik auch heute oft noch als cis-männlicher, heterosexueller Bereich. Das Führungsformat „TMW que(e)r gelesen“ möchte mit dieser Erwartung brechen und verknüpft queere Geschichte und Perspektiven mit Technik und Gesellschaft.
Text: Sophie Gerber, Rosalie Lorenz und Elliot Steixner
TMW que(e)r gelesen
Mi 20. Dezember 2023
In der Technik sind queere Themen und Personen lange nicht zu Wort gekommen. Daher gilt Technik auch heute oft noch als cis-männlicher, heterosexueller Bereich. Das Führungsformat „TMW que(e)r gelesen“ möchte aus dem Blickwinkel der Vermittlung mit dieser Erwartung brechen und verknüpft queere Geschichte und Perspektiven mit Technik und Gesellschaft.
Von Elliot Steixner 2020 erarbeitet und von Kustodin Sophie Gerber und Kulturvermittler_in Rosalie Lorenz weiterentwickelt, wird die Führung seit 2022 für Besucher_innen angeboten. Durch das wertvolle Feedback aller bisherigen Teilnehmenden ist das Format weitergewachsen. Im Folgenden wird ein Einblick in einige Stationen der Führung geben.
Etwas Wichtiges vorab: Wenn wir uns die Biografien bekannter queerer Ingenieur_innen, Forscher_innen und Innovator_innen ansehen, sind diese oftmals weiß, nicht behindert und kommen aus einer wohlhabenden Klasse. Die fehlende Diversität ist dadurch bedingt, dass oftmals mehrere Diskriminierungsformen zusammenwirken: Einer mehrfachdiskriminierten Gruppe anzugehören, macht es noch schwerer, Zugang zum Technikbereich zu bekommen und dort zu bestehen.
(L)GSM – Aus dem Untergrund in die Politik
Unsere Tour startet bei einem der Highlight-Objekte des TMW: dem LD-Tiegel, einem Gefäß zur Stahlerzeugung. Er führt uns in die Geschichte der Stahlproduktion und des Bergbaus. 1984 bis 1985 streikten die britischen Bergarbeiter_innen gegen die Schließung von Gruben und fanden überraschend Unterstützung in der queeren Community: die Gruppe „Lesbians and Gays Support the Miners“ (LGSM) unterstützte die Streikenden und ihre Familien. Die Solidarität mit den Bergarbeiter_innen hatte große Auswirkungen auf die queere Bewegung in Großbritannien: die einflussreiche Bergarbeiter_innengewerkschaft „National Union of Mineworkers“ zeigte sich solidarisch mit queeren Anliegen und so stimmte 1985 die Labour Party auf einem Parteitag geschlossen dafür, die Rechte von Lesben und Schwulen zu unterstützen.
Weltweit erster Tiegel des Linz-Donawitz-Sauerstoff-Aufblasverfahrens zur Stahlerzeugung
© Technisches Museum Wien
Cruising- und Tinder-Vorfahren
Bis 1971 war Homosexualität in Österreich unter Frauen und Männern strafbar. Andere Gender wurden rechtlich noch nicht anerkannt. Somit mussten neben lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen auch trans, inter und nicht-binäre Personen mit sozialer und rechtlicher Diskriminierung und unterschiedlichen Formen von Gewalt rechnen. Auch heute sind queere Menschen und Beziehungen in Österreich rechtlich immer noch nicht vollkommen gleichgestellt mit ihren cis-heterosexuellen Counterparts. Beispielsweise gibt es immer noch keinen rechtlichen Schutz von inter Personen vor gesundheitlich nicht notwendigen Eingriffen.
Trotz der ständig drohenden Gefahr der Verhaftung vor 1971 fanden queere Personen schon immer Wege, ihre Liebe und Begehren zu leben. Während queere Frauen sich eher privat treffen konnten, ohne dass es Aufsehen erregte, fanden queere Männer mit dem „Cruising“ eine Kontaktmöglichkeit: Anonymer Sex in öffentlichen oder semi-öffentlichen Räumen, wie Saunen, Bädern, Parks und Toiletten – wie vielleicht dem im Technischen Museum Wien ausgestellten Wiener Pavillon-Pissoir. Weil Cruising-Treffpunkte nicht fix verortet waren, war es für Polizist_innen schwieriger, diese Orte zu finden. Auch heute erfreut sich Cruisen großer Beliebtheit – in Gesellschaften, in denen Queerness tabu oder strafbar ist, ebenso wie in Ländern, in denen das Queer-Sein inzwischen größere Akzeptanz findet.
Das Pavillon-Pissoir ist ein Fertigteilbau aus Eisen, der relativ rasch errichtet und gegebenenfalls auch demontiert werden konnte. Das Pissoir befand sich ursprünglich am Sachsenplatz in Wien-Brigittenau
© Technisches Museum Wien
Out in space?
Luciana Vega ist eine Puppe der Marke American Girl, mit Accessoires, Lebenslauf und dem Berufswunsch Astronautin. Die Puppe stellt ein 11jähriges Mädchen of Color dar. Sie und ihre Geschichte sollen als Vorbild für Mädchen, vor allem für Mädchen of Color, fungieren und deren Interesse für MINT-Fächer anregen.
Ein Beispiel für ein reales queeres Vorbild aus der Raumfahrt ist Sally Ride. Sie war die erste amerikanische Astronautin, die ins Weltall flog und insgesamt zweimal mit dem Raumschiff Challenger ins All reiste. Sally Ride outete sich nie selbst, sondern wurde nach ihrem Tod von ihrer langjährigen Partnerin Tam O’Shaughnessy geoutet. Dies stieß in den Medien einige Debatten an: Wie konnte Sally Rides Privatsphäre und gleichzeitig auch ihre Beziehung zu Tam O’Shaughnessy respektiert werden?
Ein weiteres queeres Vorbild aus dem Bereich Weltraumforschung ist Nergis Mavalvala – die MIT-Professorin gehört zu dem Team, das es 2015 schaffte, erstmalig Gravitationswellen nachzuweisen, über die schon Albert Einstein in seiner Relativitätstheorie spekulierte. Das sind Wellen, die sich durch Raum und Zeit bewegen und durch beschleunigte Massen im All entstehen, beispielsweise bei der Kollision zweier Neutronensterne. Nergis Mavalvala ist eine derjenigen, die sie nun zum ersten Mal messbar gemacht haben.
„Luciana Vega“ ist eine Puppe der Marke American Girl, die ein ein 11jähriges Mädchen of Color darstellt und die das Interesse für MINT-Fächer anregen soll
© Technisches Museum Wien
Pionierinnen in der Musik
Die Anerkennung und Zuschreibung für das Entwickeln neuer Musik-Genres wurde meist Männern wie Elvis und Co. gegeben. Im Fall von Rock’n’Roll und der elektronischen Musik zumindest wissen wir, dass das nicht stimmt.
Die Rickenbacher Frying Pan (aufgrund ihres Aussehens so genannt) ist die erste elektronisch verstärkte Gitarre aus dem Jahr 1934. Die E-Gitarre kann als ein Symbol des Rock’n’Rolls gesehen werden, dessen Begründerin lange nicht als solche benannt wurde: Sister Rosetta Tharpe, eine schwarze Gospelsängerin und E-Gitarristin, stand schon mit sechs Jahren auf der Bühne und wird heute als die „Godmother“ des Rock’n’Roll bezeichnet. Soweit bekannt, hat sich Sister Rosetta Tharpe nie selbst öffentlich als queer bezeichnet. Allerdings soll sie queere Beziehungen gehabt haben, eine davon zu Marie Knight, mit der sie als Gospel-Duett auftrat.
E-Gitarre Rickenbacher A-22 Frying Pan: erste in Serie hergestellte elektrisch verstärkbare Gitarre
© Technisches Museum Wien
Wendy Carlos, Physikerin und Komponistin, trug maßgeblich zur Verbesserung der Moog-Synthesizer bei und schaffte es mit ihrem Album „Switched-On Bach“ Menschen für elektronische Musik – damals noch ein Nischen-Genre – zu begeistern. Wendy Carlos gilt zudem als Begründerin des New Age oder Ambient Music-Genres. Neben eigener Musik komponierte sie auch Film-Soundtracks, wie etwa für „The Clockwork Orange“, „The Shining“ und den Disneyfilm „Tron“. Als trans Frau ist Wendy Carlos ein wichtiges Vorbild in der elektronischen Musik.
Polymoog: analoger Synthesizer, der zwischen 1975 und 1980 von Moog gebaut wurde
© Technisches Museum Wien
Informationen zu weiteren Inhalten der Führung finden Sie auf der Website der Arbeitsgruppe Fokus Gender.
Kontakt für Hinweise, Ergänzungen und Fragen:
Kontakt für Hinweise, Ergänzungen und Fragen:
Weiterführende Links:
Website von LGSM
„Lesbians Against Pit Closures“ von Wendy Caldon auf der Website von LGSM
NS-Verfolgung Homosexueller – Geschichtliche Hintergründe und Aufarbeitung auf der Website ERINNERN.AT
Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich – Schutz von intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen
Infos zu Sally Ride auf der Website des National Air and Space Museum, Washington DC, USA
Infos zu Nergis Mavalvala auf der Website des MIT
Artikel zu Sister Rosetta Tharpe von Jessica Diaz-Hurtado auf der Website von NPR
Website von Wendy Carlos