Vor hundert Jahren war die Geburtsstunde des Radios. Das neue Massenmedium revolutionierte die Art und Weise, wie Informationen und Unterhaltung verbreitet wurden. Was als technologische Innovation begann, entwickelte sich schnell zu einem mächtigen Werkzeug – eines, das in den Händen der politischen Machthaber weit mehr als nur Nachrichten oder Musik übertrug.
Mit dem Aufstieg des Radios in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren erlangte das neue Medium eine bedeutende Rolle in der gesellschaftlichen Kommunikation. In Österreich trug die Rundfunkgesellschaft RAVAG zur Förderung eines nationalen Identitätsbewusstseins bei, das sich in den Inhalten der Sendungen, die auf zur Kultur, Bildung und Heimatpflege fokussierten, widerspiegelte. Dies war vor allem vor dem Hintergrund einer sich wandelnden politischen Landschaft von Bedeutung, da das Radio zunehmend in den Dienst nationaler und staatlicher Interessen gestellt wurde.
 
Ein prominentes Beispiel für die enge Verzahnung von Radio und Politik war die Inbetriebnahme des leistungsstarken Bisambergsenders im Jahr 1933, der durch seine hohe Reichweite die Verbreitung regierungsfreundlicher Programme sicherte. In konservativen Kreisen wurde dieser Wandel begrüßt, da das Radio in den Dienst der vaterländischen „Aufbauarbeit“ gestellt und als ein Mittel zur Verbreitung traditioneller Werte verstanden wurde.


Sender Bisamberg, 1934: Historisches Schwarzweißfoto der Sendeanlage Bisamberg mit zwei hohen Antennen und einem Gebäudekomplex
Historisches Schwarzweißfoto der Sendeanlage Bisamberg mit zwei hohen Antennen und einem Gebäudekomplex
Der Wandel zum Propagandainstrument
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und den wachsenden Spannungen zwischen den politischen Lagern in Österreich wurde das Radio schnell zum zentralen Instrument politischer Einflussnahme. Ab 1933 sendeten nationalsozialistische Propagandasender aus Deutschland gezielt Inhalte nach Österreich, die den „Anschluss“ des Landes forderten und die politische Legitimität der Wiener Regierung in Frage stellten.
 
Die Regierung Dollfuß reagierte mit der Produktion von Gegenpropaganda und versuchte, durch den Rundfunk eine nationale Geschlossenheit zu erzeugen. Doch spätestens mit dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im März 1938 wurde das Radio zu einem vollkommen politisierten Medium, das zur Indoktrination der Bevölkerung diente. Der „Volksempfänger“, ein eigens vom Regime entwickeltes und subventioniertes Radiogerät, sollte die Reichweite der Propaganda in alle Bevölkerungsschichten ausdehnen. „Ganz Deutschland hört den Führer“ lautete die propagandistische Maxime, die den totalitären Charakter der Rundfunknutzung im Dritten Reich unterstrich.
 
Die Rolle des Radios im Zweiten Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkriegs erreichte das Radio seinen Höhepunkt als Propagandainstrument. Es war nicht nur ein Sprachrohr der Regierung, um politische Botschaften und Kriegspropaganda zu verbreiten, sondern auch ein wichtiges Mittel zur Kontrolle und Zensur der öffentlichen Meinung. Der Bevölkerung wurde der Empfang ausländischer Sender strengstens untersagt und Verstöße wurden mit harten Strafen geahndet. Trotzdem hörten viele Menschen in geheimen Zusammenkünften Sender wie die BBC oder Voice of America, um Zugang zu unverfälschten Informationen zu erhalten.

Eine Ansammlung von Volksempfängern und Deutschen Kleinempfängern, die als Propagandainstrumente der Nationalsozialisten dienten. Die Radios zeigen die typische Gestaltung der 1930er Jahre ein wichtiges Stück deutscher Geschichte und Technikgeschichte: Volksempfänger und Deutscher Kleinempfänger, 1938/39
Volksempfänger und Deutscher Kleinempfänger, 1938/39
Das Regime nutzte das Radio jedoch auch, um durch Unterhaltungssendungen die Bevölkerung zu beruhigen und von den Kriegsrealitäten abzulenken. Propagandistische Sendungen, die von militärischen Erfolgsmeldungen und ideologisch aufgeladenen Kommentaren geprägt waren, sollten den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken – selbst als sich die Kriegsniederlagen häuften.


Ein rotes Hinweisschild, direkt an einem Radio angebracht, warnt vor den schwerwiegenden Folgen des Hörens ausländischer Sender. Dieses Schild stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus und verdeutlicht die Zensurmaßnahmen des Regimes: Hinweisschild „Denke daran“
Hinweisschild „Denke daran“
Nach dem Krieg: Der schwierige Wiederaufbau
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand Österreich vor der Herausforderung, das Rundfunksystem neu aufzubauen. Die deutschen Truppen hatten auf ihrem Rückzug Sendeanlagen zerstört und der Wiederaufbau erfolgte in einer wirtschaftlich und sozial zerrütteten Gesellschaft. Die ersten Nachkriegsjahre waren geprägt von der Abkehr von der nationalsozialistischen Propaganda und der Etablierung eines Rundfunks, der der Bildung und Aufklärung der Bevölkerung dienen sollte. Doch der Mangel an Fachpersonal und die zerstörte Infrastruktur erschwerten diesen Prozess erheblich.
 
Mit der Entwicklung neuer, erschwinglicher Radiogeräte, wie dem „Mucki“, gelang es jedoch, das Radio wieder in die österreichischen Haushalte zu bringen. Das Medium spielte in den Nachkriegsjahren eine zentrale Rolle beim kulturellen Wiederaufbau, indem es als Plattform für Bildung, politische Erneuerung und die Förderung eines neuen nationalen Bewusstseins diente.


Historische Werbegrafik für den österreichischen Radioempfänger „Mucki“ aus dem Jahr 1948. Das Bild zeigt ein kleines, rotes Radiogerät mit der Aufschrift „Mucki“ und dem Slogan „Österreichs erster Allstrom-Kleinempfänger für jedermann und jede Gelegenheit“: Werbeprospekt für das Radio „Mucki“, 1948
Werbeprospekt für das Radio „Mucki“, 1948
Das Miniaturradio „Mucki“ aus den Jahr 1948, hier in einem blauen quadratischen Gehäuse, in der Mitte mit Stoffbespannung und dem silbernen Logo von Kapsch: Kleinempfänger „Mucki“, 1948
Kleinempfänger „Mucki“, 1948
Das Radio als Spiegel der politischen Macht
Die Geschichte des Radios in den vergangenen 100 Jahren zeigt eindrucksvoll, wie ein Medium sowohl zur Beförderung von Kultur und Identität als auch zur Manipulation und Unterdrückung eingesetzt werden kann. Das Radio diente in autoritären Regimen als machtpolitisches Instrument, um die Bevölkerung zu lenken und oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Doch zugleich war es ein Symbol des Fortschritts und der Innovation, das in den Nachkriegsjahren wesentlich zur kulturellen und politischen Erneuerung beitrug.
 
In einer Zeit, in der digitale Medien die mediale Landschaft dominieren, bleibt das Radio ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Medien die gesellschaftliche Entwicklung beeinflussen und zugleich von ihr geformt werden.
 
Jubiläumspublikation
Zum runden Jubiläum des österreichischen Rundfunks ist die Publikation „Österreichs Radiogeschichte“ im Kral Verlag erschienen. Dieser Begleitband zur aktuellen Ausstellung „100 Jahre Radio. Als Österreich auf Sendung ging“ bietet einen spannenden Einblick in weitere interessante Aspekte der bewegten Radiogeschichte in Österreich. Das Buch ist im Museumsshop sowie online erhältlich und kostet € 29,95 (A).

Das Buchcover 'Österreichs Radiogeschichte' präsentiert eine historische Reise durch hundert Jahre österreichischen Rundfunk. Ein altes Radio im Vordergrund symbolisiert die Anfänge, während moderne Elemente im Hintergrund die digitale Gegenwart repräsentieren: Coverbild für Publikation „Österreichs Radiogeschichte. Vom Detektorempfang zum Streamingprogramm“
Coverbild für Publikation „Österreichs Radiogeschichte. Vom Detektorempfang zum Streamingprogramm“