Im Rahmen des vom BMKÖS geförderten Pilotprojekts „Koloniale Objekte an österreichischen Bundesmuseen“ widmet sich das Technische Museum Wien gemeinsam mit dem MAK, dem Naturhistorischen Museum und dem Weltmuseum der Erforschung von Beständen mit kolonialem Erwerbskontext.
Die internationalen Debatten zur Dekolonisierung von ethnologischen Sammlungen werden allmählich auch auf natur-, technik- und kulturhistorische Sammlungen übertragen. Besonders in einem Land, das gemeinhin nicht als „Kolonialmacht“ gesehen wird, ist dies von besonderer Bedeutung, denn z. B. in technischen Museen wird ersichtlich, auf welch vielfältige Weise wir durch Rohstoffe und Produktionstechnik auch in Österreich mit Kolonialgeschichte konfrontiert sind. „Erst ab 1929 war es möglich, brauchbaren synthetischen Kautschuk herzustellen“, erklärt Generaldirektor Peter Aufreiter. „Bis dahin war man für die Herstellung von Gummi auf natürlichen Kautschuk aus Südamerika oder aus den europäischen Kolonien in Afrika und Südostasien angewiesen. Damit steckt beispielsweise in allen Fahrzeugen vor 1929, die über eine Gummibereifung verfügen, ein Stück Kolonialgeschichte.“
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport geförderten Pilotprojekts „Koloniale Objekte an österreichischen Bundesmuseen“ widmet sich das Technische Museum Wien gemeinsam mit dem MAK, dem Naturhistorischen Museum und dem Weltmuseum der Erforschung von Beständen mit kolonialem Erwerbskontext. Da dies im Technischen Museum Wien – im Gegensatz zu klassischen Kunst- und Kulturgütern wie in Kunstmuseen oder ethnologischen Museen – wie im obigen Beispiel vielfach anonyme Roh- und Werkstoffe ohne Autor_innenschaft betrifft, sind Erwerbskontext, geographische Zuordnung und Datierung oft unklar. Langfristiges Ziel ist, sämtliche außereuropäische Objekte mit kolonialen Erwerbskontexten zu identifizieren und zu vermitteln. Im Zuge des einjährigen Forschungsprojektes ist ein realistisches Vorhaben, gezielte Tiefenbohrungen bei repräsentativen Objektgruppen aus den Sammlungsbereichen „Produktionstechnik“ und „Alltag und Gesellschaft“ sowie dem Archiv vorzunehmen. Dabei liegt der Fokus der exemplarischen Untersuchungen auf Rohstoffen, Materialproben und Nahrungsmitteln aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wie Kautschuk, Kaffee, Kakao und Zucker. Aber auch relevante Rezeptionsobjekte wie Alben, Werbungen, Verpackungen, Spielzeuge oder Gebrauchsanweisungen werden betrachtet. Diese entstammen zwar nicht direkt einem kolonialen Erwerbskontext, sind aber mit der Förderung, Legitimation oder sogar Verherrlichung von rassistischen und kolonialen Konnotationen verbunden.
Das vierköpfige Forscherinnen-Team beschäftigt sich außerdem mit der Beschlagwortung in Museumsdatenbanken und evaluiert, welche Begriffe problematisch sind und welche sinnvoll hinzugefügt werden können, um auch den kolonialen Ursprung zu verdeutlichen. Bei der Erarbeitung eines rassismuskritischen Begriffsangebots wird auch erwogen, nicht nur problematische Faktoren wie „Rassismus“, „Eurozentrismus“ oder „Exotisierung“ zu beschlagworten, sondern auch Begriffe wie „Widerstand“, „Selbstbezeichnung“ oder „Empowerment“ zu etablieren, die auf längere Sicht auch das Sammlungsverhalten beeinflussen könnten.
Auch über sinnvolle Wege der Restitution wird im Rahmen des Forschungsprojekts nachgedacht. „Allerdings ist dies nicht nur aufgrund der schwer nachvollziehbaren Herkunft schwierig, sondern auch, weil ein Kautschukklumpen oder Gummireifen weniger enthusiastisch entgegengenommen wird als beispielsweise Benin-Bronzen“, gibt Projektleiterin Martina Griesser-Stermscheg zu bedenken. „In vielerlei Aspekten steht der museologische Diskurs hier erst am Anfang. Darum ist es im ersten Schritt wichtig, den Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteur_innen und Initiativen zu suchen und relevante österreichische und internationale Museen, Universitäten und Forschungseinrichtungen zu vernetzen“, ergänzt Generaldirektor Peter Aufreiter die Zielsetzungen des Projekts.
Ein wichtiger Teil des Forschungsprojekts war deswegen die erste „Decolonial Summer School“, die am 30./31. August 2021 unterschiedliche Akteur_innen im Technischen Museum Wien zusammenbrachte. Dort trafen sich 40 Expert_innen aus österreichischen und deutschen Institutionen (BMKÖS, Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste, HdGÖ, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, MAK, NHM, TMW, Volkskundemuseum Wien) ebenso wie Vertreter_innen von Initiativen und NGOs wie 3RRR RESTITUTION, REHABILITATION, RECONCILIATION, Africavenir, DEKOLONIALE Berlin und der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland zum gemeinsamen Austausch.
Bei der zweitägigen Summer School wurden zum Einstieg zwei Überblicksvorträge zu kolonialer Provenienzforschung und den Möglichkeiten antirassistischer Institutionsentwicklung anhand von Fallbeispielen in der deutschen Museums- und Universitätslandschaft gegeben. Den zweiten Tag der Summer School dominierten die Debatten rund um vier Fallbeispiele aus dem Technischen Museum Wien und der angehörigen Österreichischen Mediathek, die von Teilnehmenden exemplarisch einer rassismuskritischen Analyse unterzogen wurden.
Als Kooperationspartner war der /ecm-Masterlehrgang für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien an Bord, wo auch eine öffentliche Podiumsdiskussion stattfand (/ecm Diskurs 56). Impulsreferate von außerinstitutionellen Akteur_innen in Wien und Berlin sowie ein Statement zur Arbeit des Zentrums für Kulturgutverluste Magdeburg/Berlin läuteten dabei die breit geführte Diskussion ein.
Der lebhafte und fruchtvolle Diskurs machte deutlich, dass derartige Forschungsprojekte und Vernetzungstreffen essenziell für die österreichische Museumslandschaft sind. Dabei ist die enge Zusammenarbeit mit außerinstitutionellen Antirassismus-Expert_innen und Aktivist_innen unabdingbar und Voraussetzung für den Erfolg der Projekte. Die Dekolonisierung der Sammlungen birgt nicht nur eine historische Dimension und die längst überfällige Auseinandersetzung mit dem „österreichischen Kolonialismus ohne Kolonien“, sondern führt letztlich auch immer wieder zu auch heute noch bestehenden Herrschaftsverhältnissen, Deutungshoheiten und Fremdzuschreibungen durch „weiße Institutionen“, die scheinbar weltweit Kontinuitäten fortschreiben. Klar ist: Es gibt noch viel zu tun, aber ein erster Schritt ist getan. Im Vordergrund steht eine tiefgreifende Sensibilisierungsarbeit für die Museen, ihre Mitarbeiter_innen und ihre Besucher_innen, aber auch eine öffentliche Sensibilisierung dahingehend, welchen rechtlichen, ethischen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen öffentliche Gedächtnisinstitutionen für die langfristige Erhaltung und Vermittlung kulturellen Erbes unterliegen.