Mi 22. Juni 2022
Das Müllproblem ist allseits bekannt. Speziell Verpackungen rücken regelmäßig in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dabei zeigen wachsende Müllberge an Land und zu Wasser, wie dringend es ist, Verpackungen neu zu denken und differenzierter zu entwickeln.
Um innovative Verpackungen entwickeln zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass Verpackungen ein System darstellen, das mit unterschiedlichsten Eigenschaften ausgerüstet wird, um seine Aufgabe erfüllen zu können. Dazu gehört die sichere und effiziente Beförderung von Waren und Gütern entlang einer Lieferkette. Zudem muss die Ware vor Beschädigung oder Verfall geschützt werden, der zwangsläufig durch äußere Umwelteinflüsse hervorgerufen wird. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, muss das Material, aus dem die Verpackung besteht, verschiedenste technologische Eigenschaften erfüllen. Beispielsweise kann ein Merkmal darin bestehen, den Austausch von Feuchtigkeit mit der Umgebung zu verhindern (Verringerung der Wasserdampfdurchlässigkeit), die Ware vor energieintensiver elektromagnetischer Strahlung (UV-Strahlung) zu schützen oder die Sauerstoffdurchlässigkeit zu unterbinden. Zudem muss auch immer eine ausreichende mechanische Stabilität erreicht werden.

Verpackung als System: Verpackung als System
Verpackung als System
Das Design und die verwendeten Rohstoffe der Verpackung entscheiden über die erzielte Nachhaltigkeit und Einwirkung auf die Umwelt. Gerade der Lebensmittelsektor stellt hohe Anforderungen an das Verpackungssystem. Neue Innovationen in diesem Bereich müssen mindestens obiges Niveau erreichen, sonst führt dies unweigerlich zu einer erhöhten Lebensmittelverschwendung. Um allen technischen Anforderungen gerecht zu werden, reicht oft ein Material nicht aus, eine Vielzahl an unterschiedlichsten Materialien muss kombiniert werden (Verbundwerkstoffe). Neben metallischen Werkstoffen werden auch heute noch häufig synthetische Polymere, besser bekannt als Kunststoffe oder Plastik, auf Erdölbasis verwendet. Dies liegt vor allem an ihrer leichten und ständigen Verfügbarkeit während des ganzen Jahres, den niedrigen Anschaffungskosten sowie den guten Barriereeigenschaften gegenüber Luft und Wasserdampf. Außerdem sind die meisten Verfahren in der Verwertungs- und Recyclingindustrie auf diese Materialien ausgerichtet.

Alternative Rohstoffe

Die einfachste Lösung, erdölbasierte Kunststoffe zu ersetzen, bieten sogenannte „Drop In“-Lösungen. Da diese, unglücklicherweise, oft als Biokunststoffe deklariert werden, führt dies häufig zu Missverständnissen. Hierbei bezieht sich der Ausdruck „Bio“ nicht unbedingt auf eine sehr nachhaltige Anbauweise der Rohstoffe oder auf die Möglichkeit, diese Materialien biologisch abzubauen, sondern nur auf die Tatsache, dass nachwachsende Rohstoffe für die Herstellung des Kunststoffes verwendet wurden. Der große Vorteil der „Drop In“-Lösungen liegt darin, dass diese Materialien eins zu eins den gleichen Bauplan, mit anderen Worten die gleiche chemische Struktur wie ihre erdölbasierten Pendants besitzen. Dadurch haben sie die gleichen Materialeigenschaften und können in den gleichen Produktions-, Verwertungs- und Recyclinganlagen verarbeitet werden. Die zunehmenden Marktanteile dieser Biokunststoffe bestätigen deren Erfolg und zeigen deren einfache Substitutionsmöglichkeiten mit bestehenden Verpackungslösungen. Oft muss bei Additiven wie Plastifizierungsmittel auf erdölbasierte Rohstoffe zurückgegriffen werden, doch in Zukunft werden diese immer mehr durch nachwachsende Alternativen ersetzt.
Neben den „Drop In“-Lösungen gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten Verpackungsmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen zu erstellen, die auf alternativen chemische Baupläne basieren. Durch spezifische physikalische und chemische Modifikationen lassen sich zudem die eingesetzten Rohstoffe gezielt an die Anforderungen der Verpackung anpassen.

Einer der bekanntesten Verpackungsmethoden ist die Papierverpackung bestehend aus dem Vielfachzucker Zellulose, einem Biopolymer. Biopolymere werden, im Gegensatz zu synthetischen Polymeren, im Lebewesen synthetisiert. Dabei ist Zellulose das strukturgebende Element in jeder Pflanzenzellwand. Die jährliche Produktionsmenge der von Pflanzen synthetisierten Zellulose wird auf 100 Milliarden Tonnen geschätzt und ist somit das weitverbreitetste Biopolymer der Welt.
Für Verpackungsanwendungen wird die Zellulose hauptsächlich aus Holz gewonnen, wobei durch die Erderwärmung der Druck auf diesen Rohstoff stark zunimmt. Borkenkäferbefall und Sturmschäden fordern ihren Tribut, sodass die Verwertung von alternativen Rohstoffen wie Entkrautungsabfälle, Gräser oder agrarische Reststoffe hier immer mehr ins Zentrum rückt. Dabei lassen sich schon heute durch modernste Produktionsmethoden die unterschiedlichsten Formen, wie zum Beispiel Flaschen aus Zellulose, realisieren. Schon 1908 wurde vom Schweizer Jacques E. Brandenberger durch chemische Modifikation von Zellulose ein kunststoffähnliches (thermoplastisches) Material auf Basis von Holz erfunden. Dabei handelt es sich um Zellulosehydrat, ein Material, das unter dem Namen Cellophan® bekannt wurde und bis heute häufig verwendet wird. Jedoch ist die Umwandlung von Zellulose in Cellophan sehr aufwändig. Moderne Entwicklungen wie Thermocell® zielen darauf ab, thermoplastische Zellulose unter Verwendung von Pflanzenöl auf umweltfreundlichere und energieeffizientere Weise herzustellen.

v. l. n. r.: Verpackungen aus Wasserpflanzen (© BOKU Wien), Papierflaschen (© Pulpac), thermoplastische Papierfolie (© Thermocell) und Cellophan (© Shutterstock): v. l. n. r.: Verpackungen aus Wasserpflanzen (© BOKU Wien), Papierflaschen (© Pulpac), thermoplastische Papierfolie (© Thermocell) und
Cellophan (© Shutterstock)
v. l. n. r.: Verpackungen aus Wasserpflanzen (© BOKU Wien), Papierflaschen (© Pulpac), thermoplastische Papierfolie (© Thermocell) und Cellophan (© Shutterstock)
Neben der Zellulose gibt es noch eine Vielzahl an natürlichen Rohstoffquellen, um biobasierte Verpackungsmaterialien sowie biobasierte Kunststoffe herzustellen. Beispielsweise werden aus Stärke – gewonnen aus Mais oder Kartoffeln – thermoplastische Stärken produziert, aus denen sich bioabbaubare Folien, Einwegtaschen (Sackerl) oder aufgeschäumte Pellets herstellen lassen. Chitosan, ein Material aus chemisch modifiziertem Chitin, das hauptsächlich aus Resten der Fischereiindustrie oder Krabbenschalenresten gewonnen wird, wird vielseitig eingesetzt, u. a. auch bei Verpackungssystemen, um antioxidative oder antimikrobielle Eigenschaften zu erhalten. Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Alginat, ein aus Algen gewonnenes Biopolymer, kann zur Herstellung von essbaren Trinkflaschen verwendet werden.

Neue Produktionsverfahren

Neben der Nutzung verschiedenster natürlicher Rohstoffe bietet auch die Erforschung neuartiger Produktionsverfahren ein immenses Potenzial für die Entwicklung umweltfreundlicher und nachhaltiger Materialien. Biotechnologische Verfahren bieten die Möglichkeit, eine Reihe von Ausgangsstoffen durch mikrobielle Umwandlung, ausgehend von Bakterien oder Pilzen, in eine große Bandbreite an biobasierten Materialien umzuwandeln. Das bekannteste und mengenmäßig größte Biopolymer basiert auf Polymilchsäure (PLA) und wird u. a. durch die Fermentation von Mais gewonnen. Andere Verfahren zielen auf Speicherstoffe ab, die in Mikroorganismen (z. B. Bakterien) gebildet werden. Hierbei wird ein Biopolymer in diesen Organismen durch eine spezielle Prozessführung künstlich angereichert und anschließend weiterverarbeitet. Die so entstehenden Polyhydroxyalkanoate (PHA) lassen sich zur Herstellung biobasierter Kunststoffe verwenden, die wiederum in der Umwelt vollständig abgebaut werden können. Mit etwas Geduld lassen sich auch stabile Verpackungen bestehend aus Pilzgeflechten herstellen. Zu diesem Zweck wird ein Pilz auf einem natürlichen Substrat (etwa Holzspäne) gezüchtet und nach ausreichender Reifezeit mechanisch sowie thermisch nachverdichtet.

v. l. n. r.: Aufgeschäumtes TPS (© Christian Gahle, nova-Institut GmbH), essbare Trinkflasche aus Alginaten (© Notpla), PLA-Behälter (© PLAbottles) und Schutzpackungen aus Pilzgeflecht (© Ecovative): v. l. n. r.: Aufgeschäumtes TPS (© Christian Gahle, nova-Institut GmbH), essbare Trinkflasche aus Alginaten (© Notpla), PLA-Behälter (© PLAbottles) und Schutzpackungen aus Pilzgeflecht (© Ecovative)
v. l. n. r.: Aufgeschäumtes TPS (© Christian Gahle, nova-Institut GmbH), essbare Trinkflasche aus Alginaten (© Notpla), PLA-Behälter (© PLAbottles) und Schutzpackungen aus Pilzgeflecht (© Ecovative)
Aktuelle Entwicklungen zeigen: Biobasierte Materialien sind ihren fossilen Pendants in vielen Belangen ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Doch viele dieser biobasierten Alternativen sind sehr wasserliebend (hydrophil) und besitzen dadurch eine geringere Barrierewirkung gegenüber Wasserdampf. Wie schon beschrieben, ein wichtiger Parameter für Lebensmittelverpackungen. Aus diesem Grund zielen viele Entwicklungen darauf ab, diese Eigenschaft durch chemische Modifikation oder durch Mischung einer Vielzahl von Biopolymeren zu verbessern. Allerdings erhöht sich dadurch der Produktionspreis und mögliche Verwertungs- und Recyclingverfahren werden zusätzlich erschwert.

„Smart Packaging“

Im 21. Jahrhundert werden nicht nur unsere Geräte, sondern auch unsere Verpackungen „smart“. Dabei fasst man unter dem Begriff „Smart Packaging“ zwei Entwicklungen zusammen. Zu einem unterstützt die Verpackung aktiv die Ware vor Umwelteinflüssen. So verlängert sie nicht nur die Haltbarkeit von Lebensmitteln, sie kann auch die Feuchtigkeit regulieren, die Temperatur anpassen oder die Haltbarkeit von flüchtigen Aromastoffen erhöhen. Zum anderen können „smarte“ Verpackungen auch selbstständig mit ihrer Umwelt kommunizieren und uns über den Zustand im Inneren informieren. Dabei können über physikalische und chemische Veränderungen wie Temperatur, Feuchtigkeit oder pH-Wert Rückschlüsse auf mikrobiellen Verfall gezogen werden. Damit sich diese Technologien am Markt durchsetzen, muss noch eine Reduktion der Produktionskosten erfolgen sowie die sichere Handhabung der eingesetzten Indikatormaterialien garantiert sein.

Frische-Indikator: Frische-Indikator
Frische-Indikator
Wie eingangs erwähnt, wachsen unsere Müllberge. Steigender Wohlstand und weltweit verzahnte Wertschöpfungsketten werden den Bedarf an Verpackungsmaterialien noch weiter anheizen. Lebenszyklusanalysen zeigen, dass Strategien, die sich ausschließlich auf die biologische Abbaubarkeit von Verpackungen konzentrieren, nicht weit genug gehen und dass Umweltvorteile nur unter bestimmten Bedingungen zu erwarten sind.  Speziell für nachwachsende Rohstoffe sind auch die Anbaubedingungen für die Bewertung der Umwelteinwirkungen von immenser Bedeutung. Deshalb wird, neben der Auswahl des geeigneten Rohstoffes, in Zukunft auch die Frage des Designs entscheidend sein. Zukünftige Innovationen in diesem Sektor werden sich vermehrt mit der Wiederverwertbarkeit und der Recyclingfähigkeit der eingesetzten Verpackung und deren Materialien auseinandersetzen müssen. Dies bedingt das Vorhandensein einer ausgeklügelten und effizienten Verwertungsinfrastruktur, ausgerichtet auf biobasierte Materialien und genau dort implementiert, wo das Verpackungssystem sein „Lebensende“ findet.
Globalisierte Wertschöpfungsketten erschweren allerdings ein einheitliches Vorgehen. Die Verpackung der Ware geschieht oft nicht am gleichen Ort, wo sie ihr Lebensende antritt. Sollte dort eine unzureichende Verwertungsinfrastruktur vorherrschen, sind bioabbaubare Verpackungsalternativen alternativlos. Nur ein starker politischer Wille kann hier das richtige Instrumentarium bereitstellen, innovative, kluge und nachhaltige Verpackungsalternativen durchzusetzen. In jedem Fall sind diese unerlässlich, um die unersetzlichen Ökosysteme des Planeten schützen zu können.

Zum Nachlesen und Ausprobieren
Oliver Türk: Stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe. Wiesbaden 2014
Terra X Lesch & CO/DIY-Herstellung einer Alginat-Flasche:
https://www.youtube.com/watch?v=dt0qJGj5cU0&ab_channel=TerraXLesch%26Co

Armin Winter ist Forscher am Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe der Universität für Bodenkultur in Wien.