Forscher am MIT entwickeln eine künstliche Nase. Ihr Vorbild: der beste Freund des Menschen. Ihr Mittel: Künstliche Intelligenz. Ihr Ziel: ein Handy, das Krankheiten riechen kann.
Text: Valentin Ladstätter
Wie man einer Maschine das Riechen beibringt
Mi 02. Juni 2021
Hunde können darauf trainiert werden, eine Vielzahl von Krankheiten zu erkennen – von verschiedenen Arten von Krebs über Parkinson und Alzheimer bis hin zu COVID-19. Der Schlüssel dazu liegt in ihrer außergewöhnlich feinen Nase, die mit bis zu 220 Millionen Riechzellen zu den besten im Tierreich gehört. (Menschen kommen auf ungefähr fünf Millionen solcher Zellen.) Studien haben gezeigt, dass die Vierbeiner etwa beim Erkennen von Prostatakrebs in bis zu 99 Prozent der Fälle richtig liegen. „Hunde können Krankheiten früher, schneller und genauer diagnostizieren als jede derzeit verfügbare Technologie“, erklärt Andreas Mershin vom Center for Bits and Atoms am Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Das ist ehrlich gesagt ein bisschen frustrierend: Allein mein Labor am MIT verfügt über Equipment im Wert von 100 Millionen Dollar und trotzdem sticht ein ganz normaler Hund das gesamte Arsenal nach ein paar Wochen Training aus.“
Doch trotz ihrer erstaunlichen Fähigkeiten sind die neugierigen, leicht ablenkbaren Tiere keine Idealbesetzung für einen Einsatz im Krankenhaus oder in einem Labor. Deshalb suchen Wissenschaftler_innen, Ingenieurinnen und Ingenieure nach Möglichkeiten, das hervorragende Geruchsorgan unseres besten Freundes nachzubauen.
Ganz vorne mit dabei ist das Team rund um Andreas Mershin. Die Forscher_innen arbeiten seit vielen Jahren an der Entwicklung der Nanonose 2.0: eines olfaktorischen Detektorsystems, das sich mit den Fähigkeiten eines Hundes messen kann – und das laut Erfinder eines Tages auch in einem Smartphone Platz finden soll: „Unsere Handys werden immer mehr zu Gesichtern: Sie haben bereits Augen und Ohren und die Fähigkeit zu sprechen. Jetzt ist es Zeit für eine Nase.“
Doch trotz ihrer erstaunlichen Fähigkeiten sind die neugierigen, leicht ablenkbaren Tiere keine Idealbesetzung für einen Einsatz im Krankenhaus oder in einem Labor. Deshalb suchen Wissenschaftler_innen, Ingenieurinnen und Ingenieure nach Möglichkeiten, das hervorragende Geruchsorgan unseres besten Freundes nachzubauen.
Ganz vorne mit dabei ist das Team rund um Andreas Mershin. Die Forscher_innen arbeiten seit vielen Jahren an der Entwicklung der Nanonose 2.0: eines olfaktorischen Detektorsystems, das sich mit den Fähigkeiten eines Hundes messen kann – und das laut Erfinder eines Tages auch in einem Smartphone Platz finden soll: „Unsere Handys werden immer mehr zu Gesichtern: Sie haben bereits Augen und Ohren und die Fähigkeit zu sprechen. Jetzt ist es Zeit für eine Nase.“
Andreas Mershin mit dem Prototyp der Nanonose 2.0 und Krankheiten-Spürhund Florin
© medical detection dogs
Tatsächlich ist die Entwicklung robotischer Seh-, Hör- und Tastsinne wesentlich weiter fortgeschritten als jene von künstlichen Nasen. Kameras und Bilderkennung sind so weit, dass Ingenieurinnen und Ingenieure bereits an selbstfahrenden Autos arbeiten; Siri und Alexa hören auf Befehle und antworten auf Fragen; Touchscreens reagieren auf unsere Berührung und Roboterhände sind inzwischen so empfindlich, dass sie rohe Eier aufheben können. Nachgebaute Nasen hinken der Entwicklung jedoch hinterher – und das, obwohl die Hardware bereits sehr gut funktioniert. So ist der MIT-Prototyp beim Aufspüren von Molekülen bis zu 200-mal empfindlicher als die Nase eines Hundes. „Bei der Interpretation der Moleküle ist unser System allerdings noch 100 Prozent dümmer“, so Mershin lachend.
Das liegt zum einen daran, dass die Forschung visuellen, auditiven und taktilen Sensoren bisher mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat, weil sie für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine besonders wichtig sind. Zum anderen nimmt der Geruch eine Sonderstellung unter den Sinneseindrücken ein, da bis heute nicht vollständig geklärt ist, wie Gerüche überhaupt funktionieren.
So ist zwar bekannt, dass Rezeptoren im Inneren der Nase Moleküle aus der Umgebung einfangen und zur Interpretation ans Gehirn schicken. Allerdings ist es nach wie vor ein Rätsel, wie das Gehirn die Gerüche aus den chemischen Strukturen herausliest. „Lange Zeit ging man davon aus, dass Gerüche nichts anderes sind als die Summe ihrer Moleküle. Aber wenn wir etwas riechen, erscheint ja auch keine Liste in unserem Gehirn, auf der die Moleküle nach Namen und Konzentration aufgelistet sind“, gibt Mershin zu bedenken.
Mittlerweile gehen Forscher_innen davon aus, dass die Geruchserkennung in unserem Gehirn eher nach Mustern arbeitet, die nicht nur nach bestimmten Rezepten, sondern auf verschiedene Weise zustande kommen können – wie ein Fußabdruck, der sowohl in nassem Sand als auch in feuchtem Beton oder in Schlamm gleich aussieht. „Man kann sich das auch wie ein Gefühl vorstellen: Es ist egal, ob ich ein trauriges Sonett von Shakespeare lese oder ein trauriges Stück Musik höre – das Ergebnis ist, dass ich traurig bin“, so Mershin.
Deshalb arbeiten die Forscher_innen inzwischen vor allem an der Künstlichen Intelligenz, die in der Nanonose 2.0 steckt. Damit der robotische Riechkolben nicht nur Moleküle einfangen, sondern sie auch zu komplexen Geruchsmustern interpretieren kann, trainieren Mershin und sein Team ein künstliches neuronales Netzwerk – und zwar auf dieselbe Weise, wie auch Hunde für Krankheiten sensibilisiert werden: „Wenn man will, dass ein Hund zum Beispiel Prostatakrebs aufspüren kann, dann nimmt man eine Urinprobe und lässt den Hund daran schnüffeln“, erklärt der Experte. „Jedes Mal, wenn der Hund an einer positiven Probe riecht, ertönt ein lautes Klicken. Ist die Probe negativ, dann ertönt kein solches Signal. Macht man das mit genügend vielen Proben, dann lernen die Hunde, auf welchen Geruch sie achten müssen.“ Ähnlich funktioniert das Training mit der Künstlichen Intelligenz: Man zeigt ihr positive und negative Proben und signalisiert ihr den Unterschied – nur, dass bei der Maschine kein Klicken, sondern eine digitale Markierung der Daten zum Einsatz kommt.
Das liegt zum einen daran, dass die Forschung visuellen, auditiven und taktilen Sensoren bisher mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat, weil sie für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine besonders wichtig sind. Zum anderen nimmt der Geruch eine Sonderstellung unter den Sinneseindrücken ein, da bis heute nicht vollständig geklärt ist, wie Gerüche überhaupt funktionieren.
So ist zwar bekannt, dass Rezeptoren im Inneren der Nase Moleküle aus der Umgebung einfangen und zur Interpretation ans Gehirn schicken. Allerdings ist es nach wie vor ein Rätsel, wie das Gehirn die Gerüche aus den chemischen Strukturen herausliest. „Lange Zeit ging man davon aus, dass Gerüche nichts anderes sind als die Summe ihrer Moleküle. Aber wenn wir etwas riechen, erscheint ja auch keine Liste in unserem Gehirn, auf der die Moleküle nach Namen und Konzentration aufgelistet sind“, gibt Mershin zu bedenken.
Mittlerweile gehen Forscher_innen davon aus, dass die Geruchserkennung in unserem Gehirn eher nach Mustern arbeitet, die nicht nur nach bestimmten Rezepten, sondern auf verschiedene Weise zustande kommen können – wie ein Fußabdruck, der sowohl in nassem Sand als auch in feuchtem Beton oder in Schlamm gleich aussieht. „Man kann sich das auch wie ein Gefühl vorstellen: Es ist egal, ob ich ein trauriges Sonett von Shakespeare lese oder ein trauriges Stück Musik höre – das Ergebnis ist, dass ich traurig bin“, so Mershin.
Deshalb arbeiten die Forscher_innen inzwischen vor allem an der Künstlichen Intelligenz, die in der Nanonose 2.0 steckt. Damit der robotische Riechkolben nicht nur Moleküle einfangen, sondern sie auch zu komplexen Geruchsmustern interpretieren kann, trainieren Mershin und sein Team ein künstliches neuronales Netzwerk – und zwar auf dieselbe Weise, wie auch Hunde für Krankheiten sensibilisiert werden: „Wenn man will, dass ein Hund zum Beispiel Prostatakrebs aufspüren kann, dann nimmt man eine Urinprobe und lässt den Hund daran schnüffeln“, erklärt der Experte. „Jedes Mal, wenn der Hund an einer positiven Probe riecht, ertönt ein lautes Klicken. Ist die Probe negativ, dann ertönt kein solches Signal. Macht man das mit genügend vielen Proben, dann lernen die Hunde, auf welchen Geruch sie achten müssen.“ Ähnlich funktioniert das Training mit der Künstlichen Intelligenz: Man zeigt ihr positive und negative Proben und signalisiert ihr den Unterschied – nur, dass bei der Maschine kein Klicken, sondern eine digitale Markierung der Daten zum Einsatz kommt.
Spürhund Florin schnüffelt an einer Probe
© medical detection dogs
Das Ziel des MIT-Teams ist die sogenannte Turing-Äquivalenz: Sie folgt einem ähnlichen Prinzip wie der bekanntere Turing-Test, bei dem es darum geht, einen Menschen und ein Programm anhand ihrer Kommunikation zu unterscheiden. Ist kein Unterschied feststellbar, dann hat das Programm den Turing-Test bestanden. Bei der Turing-Äquivalenz geht es um etwas Ähnliches: „Ersetzt man bei der Diagnostik einer Krankheit einen Arbeitsschritt durch einen anderen Arbeitsschritt – etwa eine Laboranalyse durch eine Hundenase – und man merkt hinterher keinen Unterschied, dann sind die beiden Schritte äquivalent“, erklärt Mershin.
Seit Februar liegen die Ergebnisse einer ersten Studie mit 50 Probanden vor. Wie sich zeigte, schnitt das künstliche neuronale Netzwerk ähnlich gut ab wie die ebenfalls an der Studie beteiligten Hunde. Nun soll bald eine größere Studie folgen, bei der die künstliche Nase anstelle der 50 einige hundert Proben analysieren soll. „Wenn die Tests weiterhin so erfolgreich verlaufen, könnten wir in ein bis zwei Jahren damit beginnen, die Nanonose 2.0 in Smartphones zu integrieren“, so Mershin.
Die Handys sollen mit Hilfe der eingebauten Nase unseren Geruch überwachen und bei verdächtigen Ausdünstungen Alarm schlagen – zum Beispiel, wenn ein Muttermal droht, sich in ein Melanom zu verwandeln, oder wenn man einen Raum mit einer hohen COVID-Konzentration betritt. Für Mershin ist es ein Schritt in ein neues Zeitalter: „Wir bekämpfen im 21. Jahrhundert eine Pandemie mit Wattestäbchen und Gesichtsmasken. Dabei hat jeder von uns einen Supercomputer in der Hosentasche! Alles, was wir brauchen, ist ein weiterer Sensor.“
Literaturhinweis:
Claire Guest et. al: Feasibility of integrating canine olfaction with chemical and microbial profiling of urine to detect lethal prostate cancer. In: Plos One, 17.2.2021.
Valentin Ladstätter ist freier Journalist mit Schwerpunkt Natur und Wissenschaft sowie Pressesprecher des WWF.
Seit Februar liegen die Ergebnisse einer ersten Studie mit 50 Probanden vor. Wie sich zeigte, schnitt das künstliche neuronale Netzwerk ähnlich gut ab wie die ebenfalls an der Studie beteiligten Hunde. Nun soll bald eine größere Studie folgen, bei der die künstliche Nase anstelle der 50 einige hundert Proben analysieren soll. „Wenn die Tests weiterhin so erfolgreich verlaufen, könnten wir in ein bis zwei Jahren damit beginnen, die Nanonose 2.0 in Smartphones zu integrieren“, so Mershin.
Die Handys sollen mit Hilfe der eingebauten Nase unseren Geruch überwachen und bei verdächtigen Ausdünstungen Alarm schlagen – zum Beispiel, wenn ein Muttermal droht, sich in ein Melanom zu verwandeln, oder wenn man einen Raum mit einer hohen COVID-Konzentration betritt. Für Mershin ist es ein Schritt in ein neues Zeitalter: „Wir bekämpfen im 21. Jahrhundert eine Pandemie mit Wattestäbchen und Gesichtsmasken. Dabei hat jeder von uns einen Supercomputer in der Hosentasche! Alles, was wir brauchen, ist ein weiterer Sensor.“
Literaturhinweis:
Claire Guest et. al: Feasibility of integrating canine olfaction with chemical and microbial profiling of urine to detect lethal prostate cancer. In: Plos One, 17.2.2021.
Valentin Ladstätter ist freier Journalist mit Schwerpunkt Natur und Wissenschaft sowie Pressesprecher des WWF.