Mi 06. Dezember 2023
Im September 2023 versammelte „Diverse Infrastructures? Gender, Queer & the Foundations of Society” bereits zum dritten Mal Forscher_innen an der Schnittstelle von Technikforschung, Gender und Museum im Technischen Museum Wien. Diesmal stand für die Teilnehmer_innen in Vorträgen und Workshops die Geschichte und Zukunft von Infrastrukturen im Mittelpunkt.
Peter Aufreiter, Generaldirektor des Technischen Museums Wien, begrüßt die Teilnehmenden im Festsaal des Hauses: Peter Aufreiter, Generaldirektor des Technischen Museums Wien, begrüßt die Teilnehmenden im Festsaal des Hauses
Peter Aufreiter, Generaldirektor des Technischen Museums Wien, begrüßt die Teilnehmenden im Festsaal des Hauses
 Ein Highlight gleich zu Beginn war die Präsentation der ersten Ausgabe des Open-Access-Journals „insightOut. Journal on Gender & Sexuality in STEM Collections & Cultures“, das die Beiträge des Workshops aus dem Jahr 2022 zu „Feminist and Queer Perspectives on Food“ versammelt.

Im ersten Panel lag der Schwerpunkt auf smarten bzw. digitalen Infrastrukturen. Calvin Lai (TU Darmstadt) warf einen Blick nach Hong Kong und analysierte die dortige Rolle des Smartphones für marginalisierte Bürger_innen und deren Mobilität, u. a. in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Shusha Niederberger (Zürcher Hochschule der Künste) stellte die Frage nach den Nutzer_innen von Dateninfrastrukturen, beispielsweise Servern, und deren aktivistisch-kreatives Potenzial in den Mittelpunkt. Beide Vorträge warfen in der anschließenden Diskussion Fragen nach der Rolle von technischer wie politischer Fürsorge auf – in Bezug auf die Infrastrukturen selbst sowie deren Nutzer_innen.
 
Im Workshop „Digital Positionality: Navigating Digital Landscapes Through Reflexivity“, geleitet von Anna Lena Menne, Makēda Gershenson und Alissa Steer (HU Berlin), wurden alle Teilnehmer_innen aktiv. In Gruppen reflektierten sie ihre Position in der Gesellschaft und im digitalen Raum vor dem Hintergrund einer von kolonialem Erbe und Kapitalismus geprägten Welt. In der gemeinsamen Diskussion wurde deutlich, dass keine_r der Teilnehmer_innen Wissen über den Verbleib ihrer Daten hat. Diese Frage wäre für sie von größerer Bedeutung, wären die Daten aufgrund ihrer persönlichen Geschichte sensibler – so eine der gewonnenen Erkenntnisse. 
 
In Workshops wurden die Vorträge reflektiert und diskutiert: In Workshops wurden die Vorträge reflektiert und diskutiert
In Workshops wurden die Vorträge reflektiert und diskutiert
Eisenbahninfrastrukturen aus unterschiedlichsten Perspektiven standen im nächsten Panel im Mittelpunkt. Martin Meiske (Deutsches Museum München) nahm die Reparatur- und Instandhaltung von Eisenbahninfrastrukturen mit besonderem Augenmerk auf die beteiligten Akteur_innen unter die Lupe und fragte nach Geschlechter- und Machtverhältnissen. Der Rolle der Frauen der Herero beim Bau der Otavibahn in der deutschen Kolonie Südwestafrika, heute Namibia, galt das Interesse von Michaela Frauwallner, die im Projekt „Koloniale Infrastrukturen“ des Technischen Museums Wien tätig ist. In ihrem Vortrag beleuchtete sie die von der Forschung lange vernachlässigten Erfahrungen der Frauen als Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen anhand fotografischer Quellen sowie deren pro-kolonialistische Instrumentalisierung. 

Der zweite Workshoptag wurde mit einem Screening von Ion Grigorescus Film „Masculin-Feminin“ (1976) eingeläutet. Alexandra Corodan (Akademie der bildenden Künste Wien) diskutierte anschließend die Auseinandersetzung des Filmemachers mit seinem Körper und dessen maskulinen und femininen Seiten. Ein weiterer, wesentlicher Aspekt bei der Produktion des Films war die technische Infrastruktur: Mit begrenzten Mitteln im sozialistisch-kommunistischen Rumänien der 1970er-Jahre gedreht, dekonstruiert „Masculin-Feminin“ Geschlechtervorstellungen mittels der Darstellung des Körpers, der Filmtechnik und die zum Einsatz kommenden Techniken während der Postproduktion.
 
Yaman Kouli (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) stellte seine Arbeit über national unterschiedliche Marketingstrategien für Lingerie vor und fragte, ob diese auch nationenspezifische Gendervorstellungen und Weiblichkeitsbilder transportieren. Im Anschluss war für Aswathy Chandragiri (BITS Pilani) die Rolle der Nation aus ganz anderer Sicht von Bedeutung: Sie geht der Forschungsfrage nach, wie Infrastruktur sich wandelt, wenn Regionen wie beispielsweise der indische Bundesstaat Punjab zum Grenzgebiet werden. Vor allem jene Bewohner_innen mit niedrigem Einkommen und Frauen erleben Nachteile u. a. durch fehlenden öffentlichen Verkehrs- und Internetanschluss bis hin zu infrastruktureller Gewalt sowie Bewegungs- und Handlungseinschränkungen. Während im ersten Vortrag der männliche Blick auf den Frauenkörper eine große Rolle spielte, rückte die zweite Präsentation die durch männlich bestimmte Regulierungen entstehenden Schwierigkeiten für Frauen in den Fokus. 
 
Pamela Heilig und Rosalie Lorenz (Technisches Museum Wien) führten die Teilnehmer_innen anschließend durch die Ausstellung „Energiewende – Wettlauf mit der Zeit“ und fokussierten auf Genderaspekte, die darin eine wichtige Rolle spielen, auch wenn das vorherrschende Narrativ diese lediglich impliziert.
 
Führung durch die Ausstellung „Energiewende – Wettlauf mit der Zeit“: Führung durch die Ausstellung „Energiewende – Wettlauf mit der Zeit“
Führung durch die Ausstellung „Energiewende – Wettlauf mit der Zeit“
Das nächste Panel führte in eine tschechoslowakische Kleinstadt der Zwischenkriegszeit und anschließend in die indische Metropole Kolkata der Gegenwart. Zunächst untersuchte Libor Denk (Palacký University Olomouc/Horácké muzeum v Novém Městě na Moravě) die Rolle von Frauen in kommunalen Infrastrukturprojekten in Nové Mesto na Moravě. Swati Guhas (ILSR Calcutta) Interesse galt exkludierenden und diskriminierenden städtischen Infrastrukturen in Bezug auf Kaste, Religion und sexuelle Orientierung. Waren trans* Personen im vorkolonialen Indien in Gesellschaft, Mythologie und Literatur sichtbar, wurden sie im Zuge der Kolonialherrschaft kriminalisiert. Guha zeigte in ihrer Präsentation, wie in Kolkata versucht wird, queere öffentliche Infrastrukturen zu etablieren. 
Im Anschluss hatten die Teilnehmer_innen die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Workshops: Eine Gruppe reflektierte mit Marion Oberhofer und Ana Daldon (Technisches Museum Wien) nicht nur deren Arbeit an der kommenden Ausstellung mit dem Arbeitstitel „Klima. Vom Wissen zum Handeln“, sondern wurde mithilfe eines Kartenspiels selbst kuratorisch aktiv. Die Kulturvermittler_innen und Künstler_innen Lia Quirina und Val Holfeld machten in ihrem Workshop die Beforschung des Museumsraums und seiner Infrastrukturen möglich. In unterschiedlichen Tempi und mit unterschiedlichen Sinnen wurde der Museumsraum von den Teilnehmenden erfahren und dokumentiert. 
 
Der dritte Workshoptag startete mit zwei Vorträgen: Wie exkludierend akustische Infrastrukturen im 18. Jahrhundert wirkten, zeigte Julia Carolin Hinze (TU Darmstadt) auf. Faktoren wie Gender, Religion und Behinderung beeinflussten, ob und wie akustische Signale, wie zum Beispiel das Läuten von Kirchenglocken, wahrgenommen wurden und welche Handlungsanweisungen damit verbunden waren. Abdallah Zouhairi (Hassan II University Casablanca) stellte seine laufende Forschung zur Nutzung und Rezeption internetgestützter Technologien für die Pflege Älterer in Marokko vor, wo die Sorge für und Lebensqualität von kranken und alten Angehörigen nicht durch eine institutionalisierte Pflegeinfrastruktur, sondern durch familiären Zusammenhalt sichergestellt wird. 
 
Seinen Abschluss fand der Workshop abseits des Museums: Juliane Rettschlag (TU Berlin) leitete eine promenadologische Erkundung des Museumsumfelds an. Mit allen Sinnen wurde für manche Altbekanntes, für andere neues Terrain entdeckt – auch in Hinblick auf urbane Infrastrukturen und ihre Wirksamkeit auf Gender oder Behinderung.
 
Die Teilnehmenden des Workshops "Infrastrukturen, Gender und Queer": Die Teilnehmenden des Workshops "Infrastrukturen, Gender und Queer"
Die Teilnehmenden des Workshops "Infrastrukturen, Gender und Queer"
Nach mehr als zwei Tagen waren sich die Teilnehmer_innen einig: Infrastrukturen sind ein vielfältiges Thema, das überraschende Erkenntnisse bereithält. Mit Formaten wie dem „Vienna Workshop“ wird das Museum selbst zum Teil einer Infrastruktur der Erforschung und Diskussion von Technik und Gender. Ausführliche Beiträge und Reflexionen werden im nächsten Heft von „insightOut“, das 2024 erscheint, nachzulesen sein.
 
Sophie Gerber ist Kustodin für Haushaltstechnik, Nahrungs- und Genussmittel und betreut den Schwerpunkt „Fokus Gender“ am Technischen Museum Wien.
Rosalie Lorenz ist Kulturvermittler_in am Technischen Museum Wien.