Für blinde Menschen bedeutet die Brailleschrift Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Die faszinierende und clevere Entwicklung von Louis Braille im Jahr 1825 war dementsprechend revolutionär und ist auch aus unserer digitalisierten Welt nicht mehr wegzudenken.
Text: Wolfgang Pensold
Sechs Punkte, die die Welt veränderten
Mi 21. Dezember 2022
Um blinden Menschen Zugang zu Büchern zu geben, entwickelt der Franzose Louis Braille 1825 im Alter von 16 Jahren aus verschiedenen Vorläufern eine für Blinde lesbare Schrift. Deren Buchstaben bestehen jeweils aus bis zu sechs Punkten in bestimmter Anordnung, die mithilfe eines Stifts ins Papier gepresst werden. Die dabei entstehenden Erhöhungen können mit den Fingerkuppen ertastet werden. Braille ist von Beruf Blindenlehrer und nach einer Erkrankung in seiner Kindheit selbst blind. Er beginnt literarische Werke des englischen Schriftstellers John Milton in Blindenschrift zu übersetzen und in öffentlichen Vorträgen vorzulesen, um zu zeigen, wie schnell seine Schrift gelesen werden könne. Allerdings glaubt man ihm nicht, man unterstellt, er habe den Text auswendig gelernt. Die Blindenschrift bleibt in der Folge lange Zeit ohne Bedeutung.
Die Buchstaben der Blindenschrift bestehen aus Kombinationen der erhöhten Punkte
© Daniel Roberts/Pixabay
Die Entwicklung der mechanischen Schreibmaschinen im ausgehenden 19. Jahrhundert hat ambivalente Folgen. Sie führt einerseits dazu, dass die Blindenschrift weiter zurückgedrängt wird, da Blinde mit diesen Maschinen nach dem Einlernen der Tastenanordnung zumindest Korrespondenz verfassen – wenn auch nicht solche lesen – können. Andererseits wird von Oskar Picht, dem Direktor einer preußischen Blindenanstalt, 1899 ein Schreibmaschinenmodell entwickelt, das in Brailles Punktschrift schreibt. Sein Plan ist derselbe wie einst der von Braille. Er will damit durch zahlreiche Helfende Bücher abschreiben lassen, um in der Bibliothek seines Instituts den dürftigen Bestand an blindengerechter Literatur zu erweitern. Die Maschine verfügt über sechs Tasten für die sechs Punkte, die zum Bilden der Braille-Buchstaben nötig sind. Dabei werden die für einen Buchstaben nötigen Tasten jeweils gemeinsam gedrückt. Sie wird bei einer Berliner Firma Anfang des 20. Jahrhunderts hergestellt und letztlich nicht nur zum Abtippen von Büchern benutzt, sondern legt vielmehr die Basis für schriftliche Korrespondenz unter Blinden.
Hall Braille Writer: Die erste Braille-Schreibmaschine wurde 1892 von Frank H. Hall in Illinois entwickelt
© Technisches Museum Wien
Ein weiterentwickeltes Modell von Picht aus dem Jahr 1907 verfügt über einen metallenen Ring, der wie ein Sucher über ein Feld geschoben wird, das sowohl mit ertastbaren Braille- als auch lateinischen Buchstaben beschriftet ist. Der Sucher wird auf den gesuchten Buchstaben geschoben, welcher dann mithilfe eines Auslösehebels aufs Papier gedruckt wird. Gedruckt werden dabei jeweils beide Versionen des Buchstabens, wodurch möglich wird, dass Blinde mit Sehenden brieflich korrespondieren. Die Blindenschreibmaschine findet in weiterer Folge große Verbreitung. Eines der verbreitetsten Modelle geht zurück auf den Förderer der nach ihm benannten Perkins School for the Blind in Watertown, Massachusetts, Thomas H. Perkins.
Perkins Brailler Home Memorial Press: Durch die sechs Tasten werden Quergestänge auf der Rückseite betätigt, die im Laufkopf Zapfen hochdrücken und so die entsprechende Prägung in das eingespannte Papier drücken.
© Technisches Museum Wien
Wird mit mechanischen Punktschriftmaschinen üblicherweise nur Sechs-Punkt-Brailleschrift geschrieben, ist für elektrische Maschinen wie die Elotype eine Acht-Punkt-Brailleschrift in Verwendung, mit der sich insgesamt 256 unterschiedliche Zeichen darstellen lassen. Auch im Zeitalter des Computers gibt es für sehbehinderte Menschen die Möglichkeit, Brailleschrift zu nutzen. Der Computer verwendet ebenfalls die 1986 eingeführte Acht-Punkt-Brailleschrift. Die Eingabe erfolgt über eine spezielle Tastatur mit acht Tasten. Ausgegeben wird der Text über die so genannte Braillezeile. In dieser Zeile, die auf der Tastatur sitzt, wird jedes Zeichen mit acht kleinen, ausfahrbaren Stiften dargestellt, die zum Lesen mit den Fingerkuppen ertastet werden.
Notetaker Braillex Notes 24P: Computerbraille wurde 1986 eingeführt und ermöglicht die Darstellung von insgesamt 256 Zeichen
© Technisches Museum Wien
Auf der Ebene der Computersoftware kommen weitere Instrumente zur Überwindung von Barrieren hinzu. So gibt es Programme, die gesprochenen Text erkennen und in Schriftform bringen, aber auch solche, die geschriebene Texte laut vorlesen. Auf diese Weise ist es blinden und sehbehinderten Menschen möglich, schriftlich zu korrespondieren, ohne selbst tippen zu müssen.
Übrigens, das Technische Museum Wien kann gerne mit Assistenzhunden besucht werden und bietet ebenfalls spezielle Führungen, bei denen Objekte auch mit Handschuhen ertastet werden können:
Barrierefreier Besuch des Technischen Museums Wien
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